Die Beauty-Industrie seift die Frauen mit ihren Versprechungen ein. Das Problem: Sie machen mit.

Illustration: Luca Schenardi
Die Frau bedarf dringend der allgemeinen Optimierung, sie rinnt und haart und altert und vertrocknet und verstopft, sagt die Werbung. Illustration: Luca Schenardi

Das ganze Elend manifestiert sich in einem Pflaster. Es ist sehr gross, denn es muss auf den Bauch geklebt werden. Dort soll es dann wirken. Der betreffende Bereich, heisst es auf der Verpackung, «wird bereits nach den ersten Anwendungen straffer und glatt». Und bei regelmässiger Anwendung würden «die lokalen Fettpolster vermindert, die Taille wird schlanker, Bauch und Hüften erscheinen fester und wie neu geformt». Eine Packung «Patch-Treatment Reshaping Abdomen and Hips» der Firma Collistar kostet 53 Franken und beinhaltet acht Pflaster.

Man ist sich in dieser Hinsicht einiges gewöhnt, denn die Werbung zeigt unmissverständlich: Die Frau bedarf dringend der allgemeinen Optimierung, sie rinnt und haart und altert und vertrocknet und verstopft. Entweder wuchern Haare an den falschen Stellen, und davon gibt es eine Menge, oder ­deren Qualität ist mangelhaft: Zu matt, zu kraftlos, zu schütter, es muss jedenfalls Abhilfe geschaffen werden. Weshalb es neuerdings auch Anti-Aging-Shampoos gibt.

Das Bild der Frau in der Werbung entspricht, nun ja, einem doch recht spektakulären Schadenfall.

Eine noch grössere Baustelle ist die Haut. Sie neigt in jungen ­Jahren zu Unreinheiten und bildet dann übergangslos die ersten Runzeln, während die Poren eine ­ungeahnte Grösse annehmen und sich unterhalb der Taille rasend schnell ­rasend viele Dellen bemerkbar ­machen. Von der Blase, die schwächelt, dem Blähbauch, den geschwollenen Beinen und dem für Juckreiz und Trockenheit anfälligen weiblichen Genital wollen wir gar nicht erst reden.

Brustvergrösserungsgel für 51 Franken

Das Bild der Frau in der Werbung entspricht, nun ja, einem doch recht spektakulären Schadenfall. Und so wird vor allem von der Beauty-Industrie vollmundig ­Heilung versprochen – wenn man denn nur das richtige Produkt wähle, werde man schlanker, jünger, schöner. Dann kommt dieses Pflaster daher. Das verspricht, innerhalb von acht Stunden den Bauch zu straffen. Es ist nicht das einzige seiner Art, eben nicht, aber es stellt einen neuen Tiefpunkt dar.

In seiner bizarren Grösse und mit seinem bizarren Versprechen steht es sinnbildlich für die Meinung, die die Beauty-Industrie ­offenbar von Frauen hat: Sie halten sie für unfassbar blöd. Wer seiner Kundschaft ein Ding zum ­Aufkleben andrehen will, mit der Behauptung, damit sozusagen im Schlaf schlanker zu werden, kann sich nur lustig über sie machen.

Man stellt sich vor, wie sich die Marketing-Menschen der internationalen Verschönerungsunternehmen an ihrer Brainstorming-Sitzung die Bäuche halten vor Lachen, wenn sie sich ein derartiges Produkt ausdenken. Wie sie sich auf die Schenkel klopfen und die ­Tränen aus den Augen wischen und vor allem die Hände reiben, weil sie wissen: Egal, wie absurd das Versprechen – es wird sich selbst dann verkaufen, wenn sie noch einen draufsetzen, einfach so zum Spass. Und das tun sie dann auch. Deshalb gibt es von der Firma, die das Bauchpflaster vertreibt, zudem ein Gel, das die Brüste wachsen lassen soll (75 Milliliter für 51 Franken).

Irgendwer muss das Zeug kaufen. Irgendwer muss den Firmen recht geben, wenn sie ­denken, der weiblichen Klientel ­alles andrehen zu können.

Vermutlich wird es ein Renner. Und die Marketing-Menschen sehen sich bestätigt und halten die nächste Sitzung ab und lancieren ein weiteres, noch fantastischeres Produkt. Denn die Beauty-Industrie, diese milliardenschwere Branche, funktioniert ja auch nur nach den Gesetzmässigkeiten des Marktes von Angebot und Nachfrage. Das heisst: Irgendwer muss das Zeug kaufen. Irgendwer muss den Firmen recht geben, wenn sie ­denken, der weiblichen Klientel ­alles andrehen zu können, selbst Cremen und Pflaster, die sämtlichen biologischen Gesetzmässigkeiten und sowieso jeder Vernunft widersprechen. Wer also investiert in diese Produkte mit den wahnwitzigen Versprechungen?

Die Antwort ist unschön. Es sind die Frauen selbst. Das darf man aber nicht sagen, denn es ist politisch inkorrekt. Wo sich doch alle einig sind, dass Frauen die Opfer sind: Opfer der Werbung und der Medien und der Beauty-Industrie mit ihren perfekten, unrealistischen Bildern! Opfer des Jugendwahns! Des Schlankheitsdiktats! Da wird überhaupt erst ein Bedürfnis geschaffen! Und führt dazu, dass junge Frauen kollektiv essgestört sind und ihre Körper hassen!

Alle wollen schön und schlank

Zunächst macht dieses dauernde Jammern unattraktiver als alle Dellen an den Oberschenkeln zusammen. Und dann ist die Haltung, Frauen seien Opfer, schlicht falsch. Es ist doch vielmehr so: Alle wollen jung (sprich dellen- und faltenlos) und alle wollen dünn sein. Das ist nicht weiter schlimm, sondern menschlich. Das Problem ist, dass es niemand zugibt. Die Zahlen sind aber eindeutig: Jede Frauenmagazin-Chefredaktorin weiss, dass nichts die Verkaufszahlen so verlässlich nach oben schnellen lässt wie eine Blitz-Bikini-Diät auf dem Titelblatt. Das gilt sogar für ein Magazin wie den «Spiegel», auch wenn die Sache dort natürlich nicht so plump daherkommt.

Jener Artikel, der eine neue Diät abhandelt, wird garantiert zum meist­gelesenen Text des Tages.

In den Onlinemedien wird das noch offensichtlicher: Da wird zwar Gift und Galle gespuckt ­wegen dünner Models, aber jener Artikel, der eine neue Diät abhandelt, wird garantiert zum meist­gelesenen Text des Tages. Da kann die Body-Positive-Bewegung noch lange ­bejubelt werden: Frauen wollen offenbar dünn sein. Und sind bereit, dafür nicht nur Heftli mit den entsprechenden Verheissungen zu kaufen, sondern auch, nächtens ein Pflaster à 6.60 Franken auf dem Bauch zu befestigen.

Die grosse Nachfrage danach erklärt sich aus weiteren, nüchternen Zahlen: Gemäss neusten Erhebungen ist weltweit jeder dritte Mensch zu dick, konkret sind es 2,2 Milliarden. Das wiederum bedeutet, dass sich jene mit einer festeren Postur in bester Gesellschaft befinden. Das Opfer-Ding geht da nicht ganz auf. Noch deutlicher lässt sich das anhand der Cellulite illustrieren, die gerade in der Sommerzeit für weibliche Alarmiertheit sorgt. Die Wissenschaftler ­werden seit Jahren nicht müde, es zu betonen: Die geht mit keiner Creme der Welt weg.

«Cellulite benennt nur die Art, wie das weibliche Bindegewebe gestrickt ist. Deshalb haben alle Frauen Cellulite.»
(Yael Adler, Dermatologin und Autorin)

Die Dermatologin Yael Adler, die mit «Hautnah – Alles über unser grösstes Organ» letztes Jahr einen Bestseller schrieb, erklärte im Interview mit dieser Zeitung: «Cellulite ist ein Begriff, den keine Frau hören will. Dabei benennt er nur die Art, wie das weibliche Bindegewebe gestrickt ist. Deshalb haben alle Frauen Cellulite, ob sie dick sind oder dünn, und es ist ­unmöglich, mit einer Creme dieses Strickmuster zu ändern.»

Dasselbe gilt für Falten. Keine Creme der Welt kann die aufpolstern. Kein Serum Poren verkleinern. Keine Pomade aus schmalen Lippen einen Schmollmund zaubern. Kein Pflaster den Bauchspeck wegschmelzen. Wem die wissenschaftlichen Erklärungen zu ­kompliziert sind, der kann es sich ganz einfach so überlegen: Würden die Produkte funktionieren, wären ­Falten sozusagen ausgerottet. Und Cellulite und schmale Lippen und übergrosse Poren und ebensolche Bäuchlein auch. Man sähe nur noch jugendliche Gesichter und schlanke, komplett dellenfreie Körper mit ebenmässiger, runzelfreier Haut. Und die plastische Chirurgie bräuchte es schon gar nicht, wenn sich das alles mit einem Cremetiegel aus dem Supermarkt beheben liesse.

Das heisst ja auch: Wenn überhaupt, sind die Frauen ein Opfer der Natur. Die ist aber bezüglich Dellenbildung überaus fair und demokratisch, denn wenn alle Frauen Cellulite bekommen (auch Models), muss sich keine grämen deswegen. Sie muss sich auch nicht schämen, weder in der Badi noch im Bett, weil sie mehr oder weniger aussieht wie alle anderen auch – sie ist nicht die bedauernswerte Ausnahme, sie ist vielmehr die Norm. Sie sieht aus, wie Frauen halt aussehen auf einem nicht gephotoshoppten Bild.

Das müsste die Frauen nicht nur mit den Models, der Cellulite und sich selbst versöhnen. Es müsste sie auch immun machen gegen all die Töpfe und Tiegel und Tuben, die angeblich Wunder bewirken. Stattdessen aber kaufen sie und salben sie und stimmen gleichzeitig ein in den Chor vom schrecklichen Druck, der da herrsche, und gefallen sich in der Opferrolle. Frauen sind doch klüger als das. Anstatt Gejammer stünde ihnen Stolz viel besser. Noch besser, der Beauty-Industrie kollektiv den gestreckten Mittelfinger zu zeigen. Wer die Hälfte der Menschheit weltweit auf Werbeplakaten ungeniert und offiziell für blöd erklärt, hat nichts anderes verdient.


© 2017 sonntagszeitung.ch