WILLIAM TELL วิลเลี่ยม เทล Вильгельм Телль |
Kopie zur Information
Dipl.-Chem. Dr. rer. nat. Hans Penner, 76351 Linkenheim-Hochstetten
Herrn Landesbischof Dr. Markus Dröge, Berlin
Sehr geehrter Herr Dr. Dröge,
Ihr Reformations-Interview mit dem TAGESSPIEGEL vom 29.10.2017 erweckt den Eindruck, daß der Wesenskern der Reformation für Sie keine Bedeutung hat. Der Wesenskern der Reformation ist das Schuldproblem. Sie sagen zwar, "daß er (Luther) die Menschen spitz anspricht auf ihre Sünde", behandeln das Thema aber nicht.
Die Naturwissenschaften haben keine Antwort darauf, wie die Naturgesetze, die Feinabstimmung des Kosmos, die Gene oder die Intelligenz entstanden sind. Aus der Bibel (die Sie nicht erwähnen, obwohl ohne die Bibel die Reformation nicht denkbar ist) wissen wir, daß der Gott Israels Himmel und Erde erschaffen hat. Die Kernfrage des Menschen ist sein Verhältnis zu Gott, das nach seinem Tode offenbar wird.
Die Sünde trennt uns Menschen von Gott. "Was mich erschreckt ist nicht die Zerstörungskraft der Bombe, sondern die Explosivkraft des menschlichen Herzens zum Bösen!" (A. Einstein). Kernfrage der Reformation ist, wie der Mensch ein neues Herz ohne diese Explosivkraft bekommen kann. Luther hatte in seinem Turmerlebnis die Antwort im Römerbrief gefunden: "So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben (an Jesus Christus)".
Der Psychoanalytiker Erich Fromm erwähnt ebenfalls das menschliche Herz: "Aber wurde Europa denn je wirklich christianisiert? Obwohl diese Frage üblicherweise bejaht wird, zeigt eine gründliche Analyse, daß die Bekehrung Europas zum Christentum weitgehend an der Oberfläche blieb; daß... die Bekehrung im großen und ganzen eine Bekehrung zu einer Ideologie blieb... und daß sie nicht mit einem Wandel des Herzens, das heißt einer Veränderung der Charakterstruktur einherging. Ausnahmen sind allerdings die zahlreichen echt christlichen Bewegungen" (Haben oder Sein 1981).
Die Anhänger des Islams praktizieren grausame Christenverfolgungen und lehnen die Menschenrechte-Charta, also das Fundament unseres Grundgesetzes, ab (hier). Als Bischof polemisieren Sie gegen eine Partei des Bundestages, die in ihrem Grundsatzprogramm den demokratischen Rechtsstaat gegen die totalitäre Ideologie des Islams verteidigt: "Die Rechtsvorschriften der Scharia sind mit unserer Rechtsordnung und unseren Werten unvereinbar. Dies wird auch durch die für die islamische Staatenwelt bedeutendste Kairoer Erklärung vom 04.08.1990 dokumentiert... Ein Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar." Ihr einziger Vorwurf gegen diese Partei ist Ihre Behauptung sie sei "rechtspopulistisch". Was Sie damit meinen, erläutern Sie nicht. Man kann unter dieser Bezeichnung das Ziel verstehen, die Interessen der deutschen Bevölkerung zu verteidigen.
Ihr Interview verstärkt die Zweifel daran, daß die Evangelische Kirche noch eine "Kirche der Reformation" sei und somit eine theologische Existenzberechtigung habe. Zum Wesenskern der Reformation gehört das "Sola-Scriptura-Prinzip", also die Überzeugung, daß die Bibel die einzige und die zuverlässige Informationsquelle für Fragen des Christusglaubens ist. Dieses Sola-Scriptura-Prinzip hat die Evangelische Kirche in Deutschland für obsolet erklärt: "Das sola scriptura lässt sich heute nicht mehr in der gleichen Weise verstehen wie zur Reformationszeit. Anders als die Reformatoren ist man sich heute dessen bewusst, dass das Entstehen der einzelnen biblischen Texte und des biblischen Kanons selber ein Traditionsvorgang ist. Die alte Entgegensetzung von »die Schrift allein« und »Schrift und Tradition«, die noch die Reformation und Gegenreformation bestimmte, funktioniert heute nicht mehr so wie im sechzehnten Jahrhundert... Seit dem siebzehnten Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht. Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als »Wort Gottes« verstanden werden. Die Reformatoren waren ja grundsätzlich davon ausgegangen, dass die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben waren" (hier). Beachten Sie: "Anders als die Reformatoren".
Dieses Schreiben kann verbreitet werden. Eventuelle Antworten stehen im Internet unter www.fachinfo.eu/droege.pdf.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Penner
Papst Franziskus verglich islamistischen Terror jüngst mit Straftaten von Christen. „In fast jeder Religion gibt es immer eine kleine Gruppe von Fundamentalisten – bei uns auch“, hatte er erklärt, als ihn Journalisten fragten, warum er den Islam nicht im Zusammenhang mit islamistischem Terror nenne. So, wie es unter Muslimen Kriminelle gebe, gebe es auch kriminelle Katholiken: „Der eine tötet seine Freundin, der andere tötet seine Schwiegermutter, und das sind alles getaufte Christen.“ Dazu ein Kommentar von Martin Lohmann.
Irren ist menschlich, und auch ein Papst ist Mensch. Franziskus legt Wert darauf, besonders menschlich zu erscheinen. Und so sagt Bergoglio viel Gutes, aber eben nicht immer Kluges und Richtiges. Jetzt hat er viele irritiert – mit einem unglücklichen Vergleichsversuch, als er auf den Terror im Namen des Islam angesprochen wurde. Wohlwollend könnte man sagen: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Kritisch müsste man sagen: Si tacuisses (Wenn Du doch geschwiegen hättest)!
Verharmlosung von Terror wäre gefährlich
Denn es ist schon ein Unterschied, ob ein Katholik, Jude oder Muslim ein Verbrechen begeht, oder ob das massenhafte Verbrechen im Namen einer Religion verübt und – mangels gebotenem Protest – fast schon „gerechtfertigt“ erscheint. Selbst Päpste und Bischöfe haben schon Verbrechen verübt. Doch niemals konnte das im Namen des Papsttums oder der Christenheit geschehen. Insofern ist eine sicher gut gemeinte Beschwichtigung von Franziskus nicht frei von der Gefahr der Verharmlosung – was ja nicht des Papstes erster Auftrag wäre. Und: Auch ein Papst kann irren, ist nicht – schon gar nicht in allem, was er so sagt – unfehlbar.
Notwendige Differenzierung nicht außer Acht lassen
Gut gemeint ist eben häufig alles andere als gut – wenn man wichtiges Wissen und notwendige Differenzierung außer Acht lässt. Bergoglio, der ja unüberlegte Geschwätzigkeit nicht mag, sollte vor seiner nächsten schnellen Antwort in so brisanten Fragen seinen vatikanischen Islamexperten Professor Samir Khalil zu Rate ziehen. Klug wäre das. Denn dieser Jesuitenpater und ägyptische Theologe ist einer der führenden Orientalisten und Islamwissenschaftler in der katholischen Kirche. Und der warnte jetzt ziemlich eindeutig vor einer Verharmlosung des Islam.
Was jetzt nottut
Vermutlich wollte Franziskus ganz irenisch darauf hinweisen, dass man den islamistischen Terror im Namen des Islam nicht mit dem gesamten Islam oder gar „den“ Muslimen gleichsetzen darf. Gut so! Sein produziertes Missverständnis durch zu rasches Reden könnte jetzt als Chance genutzt werden, dass Franziskus möglichst alle Islamgrößen einlädt zu einer gemeinsamen Verurteilung von Gewalt, Menschenverachtung und Terror. Und: dass niemand bei einem Verbrechen in seinem Namen rufen darf „Gott ist groß!“ Das wäre ein dringend notwendiges Zeichen. Auch, weil wir wissen, dass Gewalt und Mord im Widerspruch zum Wesen Gottes stehen. So könnte aus dem missglückten Vergleich ein Licht zu mehr Frieden werden. Das tut not!
Der Autor, Martin Lohmann, ist katholischer Theologe, Historiker und Journalist.
Vor bald 500 Jahren kam es im westfälischen Münster mit dem Wiedertäuferreich des Jan van Leyden zu einem legendären Ausbruch des Massenwahns mit Vorbildcharakter für spätere historische Ereignisse.
Die verschiedenen und zeitlos gültigen Entwicklungsstadien gesellschaftlicher Wahnvorstellungen lassen sich an den damaligen Ereignissen modellhaft studieren. Auch starke Parallelen zum Hier und Heute der Willkommenskultur sind nicht zu übersehen – dies nicht allein mit Blick auf die einzelnen Entwicklungsstadien des Wahns, sondern auch mit Blick auf zugrunde liegende christliche Glaubensmotive.
Natürlich vergröbert ein Modell stets – es vereinfacht, läßt viele Details weg. Doch auch darin kann ein Nutzen liegen. Wir unterstellen damit selbstverständlich nicht, daß das Wiedertäuferreich und das Reich der Willkommenskultur etwas Ähnliches oder Vergleichbares gewollt haben, aber wir behaupten, daß sie ihr Jeweiliges auf ähnliche und vergleichbare Weise gewollt haben bzw. immer noch wollen. Betrachten wir zunächst kurz die Entwicklungsstadien, wie sie am Modell von 1534 ablesbar sind.
Erstes Stadium: Neue Ideen über das Schicksal und die Bestimmung des Menschen tauchen auf und lösen Beifall und Begeisterung aus; sie finden erste Anhänger in tonangebenden gesellschaftlichen Schichten (besonders die Rolle der Frauen als Multiplikatoren und soziale Katalysatoren verdient besondere Beachtung), werden von diesen zur staatstragenden Ideologie promoviert. In dieser Phase kann es noch Opposition geben. Die Opposition wird entweder rein konservative Standpunkte vertreten und zum „Davor“ zurückkehren wollen oder – prinzipiell aufgeschlossen für Neues – nicht den Wunsch nach Veränderung generell in Frage stellen, sondern nur die konkreten Axiome der neuen Ideologie anzweifeln und durch andere ersetzen wollen. Beide Formen der Gegnerschaft haben deutliche Schwächen. Der rein konservative Standpunkt hat wenig vorzuweisen, was Beifall und Begeisterung auslösen könnte – er vertritt das überständig gewordene Alte, sieht es unkritisch und macht sich allein durch diese fehlende Distanz unglaubwürdig. Der rationale Widerspruch hingegen kommt mit seinen Zweifeln an den Axiomen meist zu spät und richtet sich als Theoriekritik überdies vor allem an intellektuelle Kreise – der Funke springt nicht auf diejenigen über, die Bewegung auslösen und kontrollieren. Überdies fehlt es dem rationalen Widerspruch an echter eigener Überzeugungskraft. Gehen die neuen Ideen mit religiösen oder quasi-religiösen Schuldmotiven und daraus resultierend einem Aufruf zur Buße einher, wird jede Art des Widerspruchs vor allem von moralischer Seite aus be- und verurteilt werden.
Zweites Stadium: Die neuen Ideen erlangen den Status welterklärender Universalien, wer sich nicht fügt, wird bedroht, aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen und verfolgt – ein totaler (und in der Folge totalitärer) Sieg des guten Gewissens und der herrschenden Moral. Der Unterschied zwischen weltlicher und religiöser Ideologie verschwindet – auch eine im Kern weltliche Ideologie trägt Züge von Heilsversprechen und Endzeiterwartung, das gesellschaftliche Klima ist zunehmend durch Hysterie gekennzeichnet. In dieser Phase ist es für die neue Lehre entscheidend, Erfolge vorweisen zu können – sei es, daß Vorhersagen eintreten und Versprechungen erfüllt werden, sei es, daß einem eventuell von außen wachsenden Widerstand fremder Mächte Paroli geboten wird. Es wird Stärke demonstriert – nach innen wie nach außen. Der Erfolg wird zum Ausweis der Zustimmung höherer Mächte bzw. der Bestätigung der Erfüllung eines geschichtlichen Auftrags.
Drittes Stadium: Die zur totalen Herrschaft gelangten Ideen radikalisieren sich notwendigerweise, wenn – was früher oder später zwangsläufig eintreten wird – Prognosen sich nicht bewahrheiten und Versprechungen im weiteren Verlauf gebrochen werden, die Gläubigen zu murren beginnen und eventuell zusätzlich ein starker Druck von außen die Binnenverhältnisse erschwert (im Wiedertäuferreich waren dies Hungersnöte infolge der anhaltenden Belagerung). Es kommt zu Exzessen (im Wiedertäuferreich: Vielweiberei, orgiastische Ausschreitungen, Verbot von Privateigentum, weitgehende Verwahrlosung, willkürliche öffentliche Hinrichtungen).
Endstadium: Der Zusammenbruch entweder durch äußeren Druck oder durch wachsende innere Unzufriedenheit ist nicht zu verhindern. Manch einer aus dem erweiterten Führungszirkel überlegt bereits, ob und wie die eigene Haut zu retten sein wird. Der innere Kern wird den Machtanspruch nun noch radikaler aufrechtzuerhalten bemüht sein. Das dem Zusammenbruch folgende Strafgericht trifft einerseits auf Reue, Verzweiflung und Bitte um Gnade, andererseits auf Verstocktheit und unbeirrtes Festhalten an der Ideologie.
Das heutige Reich der Willkommenskultur dürfte sich in der vollentwickelten ersten Phase befinden – das zweite Stadium ist mancherorts bereits betreten, das dritte als Ahnung präsent. Selbstverständlich lassen sich die Verhältnisse im Münsteraner Wiedertäuferreich nicht ohne weiteres auf die Willkommenskultur unserer Tage übertragen (selbst einer zwielichtigen Gestalt wie dem Täuferkönig Jan van Leyden kann man im Vergleich zum politischen Personal unserer Tage eine gewisse tragische Größe nicht absprechen), doch sowohl im Münsteraner Wiedertäuferreich als auch im Reich Willkommenskultur findet eine teils explizite, teils eher verdeckte Inanspruchnahme christlicher Lehren statt. Das eine Motiv ist der Schuld-Buße-Komplex, das andere die heilsgeschichtliche Dimension. Es geht hier übrigens nicht darum, das Christentum auf billige Weise zur Verantwortung zu ziehen – es geht einzig und allein darum, den Blick für die Mißbrauchsanfälligkeit des christlichen Glaubens zu schärfen – Figuren wie der fleischgewordene Kardinalfehler Woelki sind nicht von ungefähr einer christlichen Kirche zugehörig. Welche Schlüsse aus der Mißbrauchsanfälligkeit zu ziehen sind, bliebe einer gesonderten Erörterung vorbehalten.
Die gesamte Willkommenskultur ist nicht denkbar ohne einen tiefverwurzelten, auf christliche Glaubensmotive zurückgehenden Schuldkomplex. Ohne den Rückgriff auf dieses letztlich christliche Fundament hätte die konzeptionell ansonsten wesentlich durch die intellektuellen Dürftigkeiten der Frankfurter Schule gestaltete Re-Education der Nachkriegszeit niemals diese verheerenden Folgen auf den Geisteszustand mehrerer Generationen haben können. Da ist Tieferwirkendes und seit langer Zeit Anhaltendes im Gange. Die Grundlage ist das Schuldigsein schlechthin, die Re-Education sprach dem Deutschen lediglich ein besonderes Maß der Schuld zu. Das laute „Tuet Buße!“ war auch in den Straßen Münsters zur Zeit der Wiedertäufer allgegenwärtig. Buße getan werden sollte angesichts des unmittelbar bevorstehenden Tag des Jüngsten Gerichts. An das Jüngste Gericht glaubt wahrscheinlich keiner der heutigen Eiferer und Geiferer oder Sachwalter der Willkommenskultur ernsthaft. An den rein institutionellen Akt der Buße dafür um so mehr. Weil der Mensch – im Besonderen der Mensch der westlichen Zivilisation und unter denen wiederum ganz besonders der deutsche – von Grund auf verdorben ist, kann die Buße gar nicht weit genug gehen. Schuldig gemacht, versündigt hat man sich heute nicht am biblischen Gott, sondern an den Menschen Afrikas und Asiens. Die werden nun in ihrer Gesamtheit zu gottähnlichen Wesen erhoben – das Kölner Flüchtlingsboot wird zur Reliquie, zum anbetungswürdigen Gegenstand: heiliger Gral, Holzkreuz, Dornenkrone, Leichentuch und heilige Lanze in einem. Die Buße geht dabei wie weiland im Wiedertäuferreich auch im Reich der Willkommenskultur bis über die Grenzen der Selbstaufgabe hinaus. Man geißelt sich bis aufs Blut, bietet das Eigene dar, die komplette Selbstentäußerung und Selbstverleugnung ist das Gebot der Stunde. Die Teilnahme an den Glaubensritualen ist keine Angelegenheit individuellen Ermessens, sondern eine Frage von Gut und Böse. In Glaubensdingen ist nun einmal das Bestreben, das Böse mit Stumpf und Stiel auszurotten, mehr als nur latent vorhanden. Daher auch der gutmenschliche Fanatismus, dieser sich überschlagende Glaubenseifer mit Schaum vor dem Mund – zu keiner Sekunde zweifelt er daran, dem Guten zu dienen.
Weil es im Reich der Willkommenskultur um Gut und Böse, um Heil und Verdammnis geht, ist es auch nicht falsch, ihm eine heilsgeschichtliche Intention zu unterstellen. Die säkularisierte Analogie zum Reich Gottes ist die „Eine Welt“, in der Hungersnöte, Kriege und Ressourcenknappheiten für alle Ewigkeit ausgeschaltet sind. Auch hier geht es um einen moralisch unterfütterten Absolutheitsanspruch im Name des Guten – jeder, der sich ihm entgegenstellt, stellt sich auf die Seite des Bösen. Deswegen ist es auch so gut wie unmöglich, einen konstruktiven und rationalen Dialog zu führen – der Diskurs ist mehr noch als zu früheren Zeit die theologische Disputation ein Herrschaftsinstrument und keinesfalls ergebnisoffen.
Die spannende Frage ist nun, ob das Münsteraner Modell des Wiedertäuferreichs auch Prognosen hinsichtlich der weiteren Entwicklung im Reich der Willkommenskultur zuläßt. Wenn wir uns derzeit tatsächlich erst im ersten Stadium der Wahnentwicklung befinden sollten, stünde die eigentliche Steigerung des Schreckens mit all ihren Exzessen noch bevor – die vielfältigen Anzeichen für einen Stimmungsumschwung (Wahlprognosen, zaghafte Ansätze zu einer offeneren Diskussion in diversen Medien, noch zaghaftere Bekundungen der offiziellen Politik, auf die Gegenseite zugehen zu wollen) wären dann lediglich ein Zwischenspiel à la „Prager Frühling“ im Gartenzwergformat und nicht mehr als eine optische Täuschung. Bei einer Präzisierung der Prognose wäre auch auf die Frage einzugehen, inwieweit äußere Mächte bei der künftigen Entwicklung eine Rolle spielen könnten.
Das Münsteraner Wiedertäuferreich jedenfalls endete bekanntermaßen in einem Blutbad und einer anschließenden Restauration. Nachdem die bischöflichen Truppen durch Verrat in die Stadt gelangt waren, fielen sie über die durch Monate des Hungers weitgehend ausgezehrten Wiedertäufer her. Lediglich die Führung, unter ihnen der Täuferkönig Jan van Leyden (auch als Johann Bockelson bekannt), wurde nicht an Ort und Stelle getötet. Man machte ihnen, nachdem man sie eine Weile wie eine satanistische Freakshow durchs Land gekarrt hatte, den Prozeß. Nach der Hinrichtung wurden die sterblichen Überreste in eisernen Käfigen in luftiger Höhe über Münsters Prachtstraße am Kirchturm von St. Lamberti aufgehängt – späteren Generationen zur steten Mahnung.
Wer sich selbst ein Urteil hinsichtlich des Modellcharakters und möglicher Prognosen bilden möchte: Ein passable und kurzweilige Schilderung der Ereignisse in Münster bietet Bockelson. Geschichte eines Massenwahns.
Der „Islamische Staat“ erklärt nun auch Saudi-Arabien den Krieg. Mit dem Anschlag auf die Prophetenmoschee kehrt er zu den Wurzeln des wahhabitischen Islams zurück.
Die Terrorserie am vorletzten Tag des Fastenmonats Ramadan enthält das Programm des „Islamischen Staats“. An einem Tag griffen Attentäter das amerikanische Generalkonsulat in der saudischen Hafenstadt Dschidda an, eine schiitische Moschee in Qatif im Osten des Landes und danach die Prophetenmoschee in Medina. Die Ziele stehen für die Hauptfeinde der Terrororganisation: die Vereinigten Staaten in Vertretung für die westliche Welt, die schiitischen Muslime und die religiöse Praxis der meisten sunnitischen Muslime. Denn die Ideologie des IS lehnt den Bau von Moscheen über Gräbern ab.
Die große Kriegserklärung gilt jedoch dem Königreich Saudi-Arabien. Bereits in den ersten Ausgaben des IS-Propagandamagazins „Dabiq“ hatte die Destabilisierung und Eroberung von Saudi-Arabien einen breiten Raum eingenommen. Da sich die Terrororganisation den Namen „Islamischer Staat“ gab und sich ihr Anführer Kalif, Oberhaupt aller Muslime, nennen lässt, strebt sie nach der Herrschaft über die Heiligen Stätten des Islams, Mekka und Medina. Die Ideologie des IS ist auch deswegen nicht mit dem Staat Saudi-Arabien vereinbar, weil der IS ein Königreich als unislamisch ablehnt.
2500 Saudis beim IS
Der IS ist damit für Saudi-Arabien eine existentielle Gefahr. Aus keinem arabischen Land sind mehr Kämpfer für den IS nach Syrien und in den Irak aufgebrochen, als aus Saudi-Arabien. Mindestens 2500 Saudis haben sich dort dem IS angeschlossen. Ein Gesetz stellt in Saudi-Arabien die Mitgliedschaft im IS unter Strafe. Dennoch bilden sich im Untergrund Zellen. Wer als Rückkehrer oder Sympathisant des IS verdächtigt wird, wird gnadenlos verfolgt. In der saudischen Führung teilen sich die beiden Kronprinzen die beiden wichtigsten Aufgaben: Der erste Kronprinz, Muhammad Bin Nayef, ist als Innenminister für die innere Sicherheit und die Bekämpfung des Terrors verantwortlich, der zweite Kronprinz, Muhammad Bin Salman, für die großen anstehenden Wirtschaftsreformen.
Bei dem ersten Anschlag, der sich in Dschidda gegen das festungsartig gesicherte amerikanische Generalkonsulat gerichtet hatte, waren zwei Wachleute verwundet worden, der Selbstmordattentäter sprengte sich selbst in die Luft. Die Vereinigten Staaten verkörpern für die Dschihadisten den „fernen Feind“.
Wenige Stunden später handelte ein weiterer Selbstmordattentäter nach dem gleichen Muster, als er in Qatif, im Osten Saudi-Arabiens, nahe einer schiitischen Moschee den Sprengstoffgürtel auslöste. Da die Betenden die Moschee bereits zum Fastenbrechen verlassen hatten, wurde außer ihm niemand getötet, niemand wurde verletzt. Dieser Anschlag galt einem „nahen Feind“, den Schiiten.
Verstoß gegen den Monotheismus
Die Ideologie des IS verabscheut sie noch mehr als die Christen und die Juden. Denn die vom originären wahhabitischen Islam inspirierten Ideologen des IS denunzieren die schiitischen Muslime als „Polytheisten“, als „mushrikin“ oder „Beigeseller“. Denn sie sollen Ali, den Schwiegersohn des Propheten, und dessen elf Nachfolger, also die 12 Imame, als nahezu göttlich verehren. Das sei aber ein Verstoß gegen das strenge islamische Gebot des Monotheismus, den tauhid.
Die Organisation Satanic Temple hat Samstagnacht eine Baphomet-Skulptur im US-amerikanischen Detroit enthüllt. Der Tempel hatte lange versucht, das Denkmal nahe dem Zehn-Gebote-Denkmals in Oklahoma zu platzieren.
Aufgrund der geplanten Demonstrationen gegen das Denkmal hatte die Gruppe die Enthüllung bis zum letzten Moment geheim gehalten, berichtete die britische Zeitung „Guardian“ am Sonntag (Onlineausgabe). Per E-Mail informierten die Satanisten erst kurz vor der Enthüllung des rund drei Meter hohen Denkmals Anhänger, die sich zuvor schriftlich anmelden mussten.
Der Satanic Temple präsentierte die Statue - sie soll rund eine Tonne wiegen -kurz vor Mitternacht bei einem Industriegebäude in der Nähe des Detroit-Flusses. Unterstützer jubelten: „Heil Satan“, Hunderte Anhänger waren anwesend, einige posierten für Fotos mit der Baphomet genannten Figur.
Die umstrittene Statue besteht aus einem geflügelten Baphomet mit einem menschlichen Körper und dem Kopf einer Ziege - eine Kunstfigur, die von Satanisten als Abbildung für den Teufel verwendet wird. Rechts und links neben dem Baphomet stehen ein Bub und ein Mädchen, die den Teufel anbeten.
Das umstrittene Teufelsdenkmal in Detroit (Bild: AP/The Satanic Temple)
Tempelmitglieder hatten geplant, die Skulptur nach Arkansas zu bringen, wo in diesem Jahr der Gouverneur ein Gesetz unterzeichnete, das die Zulassung eines Zehn-Gebote-Denkmals auf dem Regierungsgelände erlaubt, sagte Jex Blackmore, der Direktor des Satanic Temple Detroit dem „Guardian“.
Der Tempel hatte im Vorfeld vergeblich versucht, die Statue in der Nähe eines Zehn-Gebote-Denkmals, das 2012 vor dem Regierungsgebäude installiert worden war, aufzustellen. Erst kürzlich hatte der Oberste Gerichtshof in Oklahoma entschieden, dass das Zehn-Gebote-Denkmal gegen einen Abschnitt der Landesverfassung, der die Verwendung von Staatseigentum zugunsten einer Religion verbietet, verstößt.
Die republikanische Bundesregierung reagierte darauf unterdessen mit Amtsenthebungsdrohungen gegen die Richter und plädierte für die Änderung der Verfassung. Die republikanische Gouverneurin von Oklahoma, Mary Fallin, sagte, sie würde das Denkmal an Ort und Stelle belassen, bis der Staat eine Entscheidung getroffen hat.
Die Enthüllung der Baphomet-Statue zog wie erwartet Proteste nach sich. 50 Christen beteten für die Stadt und prangerten ein Unternehmen an, das zuvor sein Einverständnis zur Aufstellung der Statue gegeben hatte. Wegen der heftigen Proteste hatte das Unternehmen seine Zusage zurückgezogen, und die Statue wurde in einem Industriegebiet aufgestellt.
Während die Satanisten der Ansicht sind, die Statue rufe zu Mitgefühl unter allen Lebewesen auf, und Satans Schoß biete eine Möglichkeit zu verweilen und zur Inspiration, sehen Christen darin eine Gefahr für die Stadt. „Das Letzte, was wir in Detroit brauchen, ist eine Willkommensparty für das Böse“, sagte Dave Bullock, Pfarrer der Greater St. Matthew Baptist Church.