Kapitel 26
Die Häresie Dr. Herzls
In den sechs Jahren von 1897 bis 1903 war Dr. Theodor Herzl von der Neuen Freien Presse eine weltbekannte Persönlichkeit ganz neuer Art. Er hatte den Zionismus als organisierte politische Kraft geschaffen (was ihm sowie anderen, die in seine Fußstapfen traten, den Tod brachte) und ihn wie einen Knallfrosch auf der Bühne der westlichen Politik explodieren lassen. Nichtsdestoweniger war er eine schattenhafte Figur, ein Produkt der Wiener Cafés, wo man sich an Sacher Torte und Kaffee mit Schlagsahne gütlich tat. Herzl erweckte den Eindruck einer Person, die von einem gewieften Werbefachmann für die Zwecke seiner Firma benutzt und dann, wenn sie das Produkt erfolgreich lanciert hat, fallen gelassen wird. Er war nie der wirkliche Führer der zionistischen Bewegung und wurde sich dessen bei seinem ersten Kongress von 1897 jäh bewusst, „als sich vor unseren Augen ein russisches Judentum erhob, dessen Stärke wir nicht einmal geahnt hatten“. Sieben Jahre später führte ihn die volle Erkenntnis seiner Unfreiheit frühzeitig ins Grab.
Herzl schrieb einmal, er habe 1887 in Basel „den Judenstaat gegründet... Ich bleute den Menschen die Überzeugung ein, dass sie einen Staat brauchten, und vermittelte ihnen das Gefühl, sie seien die Nationalversammlung.“ Die nächsten sechs Jahre ließen erkennen, was Leon Pinsker 1882 gemeint hatte, als er schrieb, die Juden müssten „unwiderstehlichen Druck auf die internationale Politik der Gegenwart ausüben“.
Der Journalist und gebürtige Wiener Thedor Herzl trat einen Triumphzug durch die großen Hauptstädte an; er stand im glitzernden Rampenlicht, als schwinge er sich von Trapez zu Trapez, und war das Hätschelkind der Schickeria. Kaiser, Potentaten und Staatsmänner empfingen ihn als den Sprecher aller Juden; der Kontrast zwischen dem, was sie dachten, und dem, was er wissen musste, ist eindrücklich, denn seine rechte Hand Max Nordau sagte nach seinem Tod: „Unser Volk hatte einen Herzl, aber Herzl hatte nie ein Volk.“ Das talmudistische Rabbinertum des Ostens, das diesen falschen Messias verachtete, schob einen Keil zwischen ihn und die jüdischen Massen.
Die Welt, in der sich Herzl bewegte, schien auf sicherer und stabiler Grundlage zu beruhen. Die Witwe in Windsor und der alte Herr in Schönbrunn wurden von ihren Völkern aufrichtig geliebt, während der junge Mann in Berlin älter und reifer wurde; der Zar war immer noch der Vater seines Volkes: das Recht eines jeden Menschen auf einen gerechten Prozess wurde immer mehr zur Selbstverständlichkeit; das Elend des Industrieproletariats wurde Schritt um Schritt gemildert. Doch überall wussten Herrscher und Politiker, dass das Damoklesschwert der Weltrevolution über ihnen hing und drohte, den Evolutionsprozess, dem mit Sicherheit Erfolg beschieden sein würde, wenn man ihn ungestört ablaufen ließe, abrupt zu beenden und zunichte zu machen. Via das von Disraeli erwähnte „Netzwerk von Geheimgesellschaften“ war aus Weishaupts Illuminatenorden nämlich die Kommunistische Partei geworden, die in jedem Land ihre Filiale hatte.
Herzl, der vorgab, für alle Juden zu sprechen, verstand es sehr geschickt, diese allgemeine Furcht für die Verwirklichung seines Ziels auszuschlachten. Er lockte mit dem Zuckerbrot und drohte mit der Peitsche: Wenn die Herrschenden sein Programm unterstützten, würde in ihren Ländern der innere Friede gewahrt bleiben; ansonsten würde die Revolution ausbrechen. Somit musste er selbstverständlich wissen, dass die revolutionäre Führung aus Juden bestand; er bestätigte also, was Disraeli und Bakunin Jahrzehnte zuvor gesagt hatten. Wie sehr er auf den Erfolg seiner Methode baute, lässt sich seinem berühmten Satz entnehmen: „Wenn wir sinken, werden wir zu einem revolutionären Proletariat; wenn wir aufsteigen, steigt auch die furchtbare Macht unserer Börse.“
Herzl erklärte gegenüber dem Großherzog von Baden, je mehr Unterstützung er seitens der Regierenden für seine territorialen Ambitionen erhalte, desto nachhaltiger werde er die revolutionäre Propaganda in Europa dämpfen. Anschließend empfing ihn der deutsche Kaiser hoch zu Ross und helmbewehrt vor den Toren Jerusalems und erklärte sich bereit, Herzls Vorschlag zur Schaffung einer von den Zionisten gepachteten und unter deutschem Schutz stehenden zionistischen Kolonie in Palästina an den türkischen Sultan weiterzuleiten. Als dieser Plan im Sande verlief, drohte Herzl auch dem Kaiser mit der Revolution: „Scheitert unser Projekt, dann werden Hunderttausende unserer Anhänger geschlossen zu den revolutionären Parteien überlaufen.“
Als nächstes erhielt Herzl eine Audienz beim russischen Zaren, dem gegenüber er sich ähnlich äußerte. Ungefähr zur gleichen Zeit fand der dritte Zionistische Weltkongress statt, bei dem eine Resolution verabschiedet wurde, wonach jeder Jude, der einer zionistischen Organisation beitrat, die Souveränität des immer noch nicht existierenden jüdischen Staates anerkannte. Rabbi Elmer Berger konstatiert betrübt, dass „die ghettoisierte, streng überwachte jüdische Existenz hierdurch wieder zur Realität wurde, und zwar in größerem Umfang als je zuvor“.
Zu guter Letzt wurde Herzl noch vom türkischen Sultan empfangen. Greifbare Ergebnisse hatten seine bisherigen Reisen und Audienzen nicht gezeitigt, doch alsbald folgte der größte Coup, denn nun verlagerte Herzl seine Aktivitäten nach England. Auch hier hatte er offenbar Zugang zu den erlauchtesten Kreisen, gelang es ihm doch, eine der schicksalhaftesten Operationen der Weltgeschichte einzufädeln. Britische Bürger, die damals noch in der Wiege lagen, sowie ihre Kinder und Enkel sollten die Folgen seiner Unterredungen ausbaden müssen, über die keinerlei Unterlagen vorliegen.
Was befähigte einen Dr. Herzl aus Wien dazu, sich bei den Regierenden aller europäischen Großmächte Gehör zu verschaffen, und wer sorgte dafür, dass sie seine in gebieterischem und drohendem Ton vorgetragenen Forderungen ernst nahmen? Die „Pforten der Könige“ (so sein eigener Ausdruck) öffneten sich ihm schwerlich nur darum, weil er in Basel einen Kongress organisiert hatte, an dem 197 Männer teilnahmen und bei dem eine Resolution verabschiedet wurde. Andere, bedeutend mächtigere Persönlichkeiten müssen die notwendige Vorarbeit geleistet und sichergestellt haben, dass Pförtner, Wachposten, Sekretäre, Kammerdiener und alle anderen subalternen Figuren, denen die Aufgabe obliegt, ihre Herren und Meister vor ungebetenen Besuchern zu schützen, ehrerbietig zur Seite wichen, wenn Herr Dr. Herzl erschien.
Wir sind nun zur geheimnisvollsten, am schwersten zu beantwortenden Frage von allen vorgestoßen. Über den Ursprung der Weltrevolution, ihre Ziele, die Kaperung ihrer Führung durch Juden liegt eine Vielzahl von Dokumenten vor; an der Existenz des von Disraeli erwähnten weltumspannenden „Netzwerks von Geheimgesellschaften“ ist längst kein Zweifel mehr statthaft; wer hinter dem „revolutionären Proletariat“ steht, ist jedem Einsichtigen klar. Doch muss es noch ein zweites Netzwerk geben, das aus Personen der höchsten Gesellschaftskreise besteht und sich der „Macht der Börse“ bedient, um Herrscher und Politiker zu beeinflussen und hierdurch „unwiderstehlichen Druck auf die internationale Politik der Gegenwart auszuüben“. Dieses zweite Netzwerk von Menschen, die in aller Herren Ländern auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten, muss es Herzl ermöglicht haben, zu den höchsten Stellen vorgelassen zu werden und seine Forderungen unterbreiten zu können.
Alle sachkundigen Beobachter wissen um die Existenz einer solchen Organisation, die auf den höchsten Ebenen der internationalen Politik hinter den Kulissen wirkte. Die zionistischen Propagandisten behaupten, lediglich „hochgestellte jüdische Persönlichkeiten“, „jüdische Magnaten“ und „reiche Juden“ hätten gegen den Zionismus Stellung bezogen (diese Ausdrücke finden sich beispielsweise in Dr. Weizmanns Buch wiederholt), doch in Wahrheit verlief der Riss vertikal durch das Judentum: Sowohl unter den reichen als auch unter den armen Juden gab es Zionisten und Antizionisten. Die Mehrheit der westlichen Juden wollte damals nichts vom Zionismus wissen, aber unter der zionistischen Minderheit gab es sehr wohl hochgestellte und reiche Juden. Nur sie können es möglich gemacht haben, dass eine obskure Figur wie Dr. Herzl plötzlich an den Fürstenhöfen und in den Kabinettsräumen erschien und dort ein- und ausging, als gehöre er zu den von Geburt an Privilegierten. Seine Helfer arbeiteten ohne den geringsten Zweifel eng mit der einzigen kompakten zionistischen Masse zusammen, die es damals im Judentum gab: den talmudistischen Gemeinden Russlands.
Dr. Kastein schreibt, die aus 197 Männern bestehende, beim Basler Zionistenkongress einberufene „Exekutive“ sei „die erste Verkörperung einer echten jüdischen Internationale“ gewesen. Anders gesagt, eine bereits existierende Organisation erhielt eine sichtbare Fassade. Eine „jüdische Internationale“ existierte schon lange, und sie war mächtig genug, um Könige, Fürsten und Minister zum Empfang Dr. Herzls zu veranlassen.
Von dem internationalen Netzwerk gleichgesinnter hochgestellter Persönlichkeiten, das in Herzls Tagen seine Fäden zog, kann sich der Forscher ein ungefähres Bild machen, wenn er eine Anzahl vielsagender Splitter und Fragmente zusammensetzt. Beispielsweise schreibt Weizmann, er habe im Gespräch mit Herzl einen der führenden Juden Englands, Sir Francis Montefiore, als „Narren“ betitelt, worauf Herzl geantwortet habe: „Er öffnet mir königliche Pforten.“ Herzls wichtigster Gönner war ein Baron de Hirsch, von dem Graf Carl Lonyay unter Berufung auf Dokumente in den Geheimarchiven des kaiserlichen Hofs in Wien berichtet, er habe dem österreichischen Kronprinzen Rudolf, der vor seinem Selbstmord in Meyerling eine Freundin finanziell versorgen wollte, die Summe von 100.000 Gulden zur Verfügung gestellt, „als Gegenleistung für eine freundliche Geste im Dezember, als er dem Bankier [de Hirsch] ein Treffen mit dem Prinzen von Wales [dem künftigen König Edward VII.] ermöglichte“.
Als Folge dieser Begegnung wurde Baron de Hirsch zum Vertrauensmann, Privatbankier und finanziellen Berater des künftigen britischen Königs. De Hirsch war der Schwager Bischoffsheims vom jüdischen Finanzhaus Bischoffsheim und Goldschmidt in London, dem auch ein steinreicher, in Deutschland geborener Jude namens Sir Ernest Cassel angehörte. In seiner biographischen Studie „Sir Ernest Cassel“ (in: Manifest Destiny. A Study of the Mountbatten Family, 1953) schreibt Brian Connell, Sir Ernest habe Baron de Hirschs Freundschaft mit dem Prinzen von Wales „geerbt“: „Während Hirsch lediglich ein Vertrauter gewesen war, wurde Cassell zum engsten persönlichen Freund Edwards VII.“ Cassell war übrigens der letzte Freund des Königs, der diesen lebendig sah; an seinem Todestag erhob sich dieser von seinem Krankenlager und kleidete sich an, um eine Verabredung mit Sir Ernest einhalten zu können.
Brian Connell schreibt: „Die kleine internationale Brüderschaft, zu deren führendem Mitglied er [Sir Ernest Cassell] vielleicht wurde, bestand durchwegs aus Männern mit ähnlichem Hintergrund wie er, mit denen er auf seinen umfangreichen Reisen Bekanntschaft geschlossen hatte. Zu ihnen gehörten Max Warburg, das Oberhaupt der großen Privatbank in Hamburg, Edouard Noetzlin, Ehrenpräsident der Banque de France et des Pays Bas in Paris, Franz Philippson in Brüssel, Wertheim und Gompertz in Amsterdam sowie vor allem Jacob Schiff von der Firma Kuhn, Loeb and Company in New York. Ihre Rasse und ihre Interessen verbanden diese Männer miteinander. Das zwischen ihnen geknüpfte Verbindungsnetz zitterte bei der leisesten Berührung. Sie unterhielten ein unglaublich fein gesponnenes Netzwerk, über das sie einander erstaunlich genaue Informationen über die wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Entwicklungen auf höchster Ebene vermittelten. Sie konnten dem einen die Unterstützung entziehen, dem anderen zusätzliche finanzielle Hilfe gewähren, unermessliche Geldsummen blitzartig und unter höchster Geheimhaltung von einem Punkt ihres Finanzimperiums zum anderen verlagern und auf die politischen Entscheidungsprozesse in rund zwanzig Ländern einwirken.“
Niemand kann ernstlich in Abrede stellen, dass es sich bei diesen Männern, die „durch ihre Rasse und ihre Interessen verbunden waren“, „unermessliche Geldsummen von einem Punkt ihres Finanzimperiums zum anderen verlagern“ und „auf die politischen Entscheidungsprozesse in rund zwanzig Ländern einwirken“ konnten, um die von Dr. Kastein erwähnte „jüdische Internationale“ handelte, die über alle Landesgrenzen hinweg operierte, um Dr. Herzl zu unterstützen. Eine andere Erklärung dafür, dass die britische Regierung beschloss, diesem ein Territorium für die Gründung seines Judenstaates anzubieten, gibt es schlicht und einfach nicht. Mit einer solchen Macht im Rücken konnte Herzl es sich in der Tat leisten, Forderungen zu stellen und Drohungen auszustoßen. Die einflussreichen Männer, die das internationale Direktorat bildeten (dieses Wort ist durchaus nicht übertrieben!), mögen privat durchaus nicht an den Zionismus geglaubt und ihn vielleicht sogar abgelehnt haben, doch unserer Überzeugung nach waren nicht einmal sie mächtig genug, um gegen die von den jüdischen Weisen festgelegte Politik zu rebellieren oder ihr auch nur die Unterstützung zu versagen.
Während die Reisetätigkeit Dr. Herzls im Stillen ihre Früchte zu tragen begann, begab er sich erneut auf Wanderschaft. Er empfand kindlichen Stolz auf seine plötzliche Berühmtheit; die Eleganz der High Society, die Fräcke und die weißen Handschuhe, die Kronleuchter und die Empfänge – all dies sagte ihm ungemein zu. Die talmudistischen Weisen in Russland, die im Kaftan und mit Locken aufgewachsen waren und sich anschickten, ihn zu stürzen, verachteten ihn zwar, benutzten ihn jedoch als Galionsfigur des „emanzipierten westlichen Juden“.
1903 hatte Dr. Herzl eine Reihe wahrhaft erstaunlicher Erlebnisse, welche an die Sabbatai Zevis im Jahre 1666 gemahnten. Er trat eine Reise durch die jüdischen Städte Russlands an, wo ihm die unerleuchteten Massen zujubelten, als sei er der Messias persönlich. Bei diesem Anlass versuchte er die russische Regierung dazu zu bewegen, Druck auf den Sultan auszuüben, damit dieser in seinen Vorschlag für eine von den Zionisten gepachtete Kolonie in Palästina einwilligte. Auf den russischen Innenminister von Plehve hinterließ Herzl, der vorgab, für alle russischen Juden zu sprechen, einen gewissen Eindruck.
Falls sich Herzl tatsächlich für das Sprachrohr der gesamten Judenheit hielt, so wurde er von diesem Irrtum alsbald kuriert. Er tat nämlich etwas, was entweder von wahrem Heldenmut oder aber von gänzlicher Unkenntnis der Lage zeugte (Männer wie er, die von anderen als Marionetten benutzt werden, sind sich dessen oft nicht bewusst). Um von Plehve gehörig unter Druck zu setzen, griff er wieder zu dem altbewährten Argument:
Zionismus oder Revolution. Er ersuchte die russischen Juden, sich jeglicher revolutionärer Aktivitäten zu enthalten, und brachte bei seinen Verhandlungen mit den russischen Verantwortlichen das Thema der jüdischen Emanzipation zur Sprache!
Hierdurch unterzeichnete er sein politisches Todesurteil; in der Tat segnete er schon bald darauf das Zeitliche. Mit seinen Vorstößen hätte er nämlich verbotenes Terrain betreten. Für die talmudistischen Führer waren sie blanke Häresie. Sie hatten sich fieberhaft bemüht, die Emanzipation der Juden in Russland zu hintertreiben, weil sie darin eine tödliche Gefahr für ihre Macht über ihr Fußvolk erkannten. Wenn Herzl bei seinen Verhandlungen mit der jüdischen Regierung Erfolg beschieden war, würde sich das Verhältnis zwischen Russen und Juden entscheidend entspannen, und dies würde der propagandistischen Legende von der „Verfolgung der Juden in Russland“ den Garaus machen.
Als Herzl aus Russland zurückkehrte, um auf dem sechsten Kongress seiner Zionistischen Weltorganisation zu aufzutreten, trat ihm das Schicksal in Gestalt einer kompakten Masse russischer Juden entgegen, die ihn nicht bloß wie früher „demütigten“, sondern bedrohten. Angesichts dieser kritischen Lage glaubte er seinen Trumpf ausspielen zu müssen und tat dies auch: Als Ergebnis seiner Unterredungen in London und des von seinen Hintermännern auf die britische Regierung ausgeübten „unwiderstehlichen Drucks“ hatte letztere ihm, Dr. Herzl von der Wiener Neuen Freien Presse, ein Territorium in Afrika angeboten – Uganda!
Wenn die Annalen der Geschichte ein noch seltsameres Ereignis verzeichnen, so bin ich jedenfalls nicht darauf gestoßen. Die Trumpfkarte stach jedoch nicht. Wohl stimmten 295 Delegierte für die Annahme des Vorschlags, doch gab es immerhin 175 Gegenstimmen, was bewies, dass Dr. Herzl mitnichten für alle Juden sprach. Bei der großen Mehrheit der Neinsager handelte es sich um russische Juden. Mochte das einfache jüdische Fußvolk in Russland Herzl auch frenetisch zugejubelt haben, die 175 Emissäre des Rabbinats stellten sich gegen ihn, denn Uganda war gleichbedeutend mit dem Scheitern ihres Plans. Sie warfen sich auf den Fußboden, wie es fromme Juden seit jeher zu tun pflegen, um die Toten zu betrauern oder die Zerstörung des Tempels zu beklagen. Unter ihnen war eine Frau, die den weltberühmten Dr. Herzl als „Verräter“ schmähte und, nachdem er gegangen war, die hinter dem Rednerpult hängende Karte von Uganda von der Wand riss.
Falls seine Worten und Schriften seine aufrichtigen Überzeugungen widerspiegelten, begriff Dr. Herzl nie, weshalb die jüdischen Abgesandten aus Russland sich strikt weigerten, eine andere Heimstatt als Palästina überhaupt in Betracht zu ziehen. In diesem Fall war er freilich ausgesprochen naiv. Er hatte seine ganze Bewegung auf dem Argument aufgebaut, die „verfolgten Juden“ bedürften dringend einer Heimstatt, und mit den „verfolgten Juden“ konnte er nur die russischen meinen; die westlichen Juden waren schließlich voll emanzipiert. Wenn sein Argument zutraf, war jeder einigermaßen vernünftige Ort eine Lösung, und nun war es ihm gelungen, einen solchen zu finden. Zogen es gewisse russische Juden jedoch vor, in Russland zu bleiben, und war seinen Verhandlungen mit der russischen Regierung Erfolg beschieden, dann ging die Unterdrückung der Juden auch in Russland zu Ende!
Die talmudistischen Rabbiner sahen die Dinge allerdings in ganz anderem Licht. Auch sie hatten fleißig an der Legende von den „verfolgten Juden“ gestrickt, während sie sich gleichzeitig mit Zähnen und Klauen gegen die Emanzipation sträubten, doch taten sie dies um der Erfüllung des alten Gesetzes willen, das ihnen die Rückkehr nach Palästina gebot; hiervon hing die Erfüllung aller Verheißungen ab. Uganda hätte für das talmudistische Judentum den Todesstoß bedeutet.
Chaim Weizman hat Theodor Herzls endgültige Demütigung geschildert. Nach der Abstimmung suchte Herzl das Gespräch mit den russischen Juden, die ihm den Rücken zugekehrt und den Saal verlassen hatten. „Er trat ein und sah verstört und erschöpft aus. Ihm schlug Totenstille entgegen. Keiner erhob sich, um ihn zu begrüßen, keiner spendete ihm Beifall, als er seine Darlegungen abgeschlossen hatte... Es war wohl das erste Mal, dass Herzl bei einer zionistischen Versammlung so empfangen wurde – er, das Idol aller Zionisten!“
Es war auch gleich das letzte Mal. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, schied Dr. Herzl im Alter von nur 44 Jahren vom Lichte. Über die Ursache seines Ablebens liegen keine schlüssigen Informationen vor; jüdische Verfasser äußern sich darüber in verklausulierten Formulierungen. Laut der Jewish Encyclopedia war sein frühzeitiger Hinschied die Folge dessen, was er hatte erdulden müssen: Standardwerke äußern sich in gleichem Sinn und machen dunkle, aber aufschlussreiche Andeutungen. In all den vorhergehenden Jahrhunderten hatten Juden, die von der herrschenden Sekte mit dem Bannfluch belegt worden waren, sehr oft plötzlich und unter ungeklärten Umständen das Zeitliche gesegnet. In dieser Frage stößt der Forscher an eine undurchdringliche Mauer.
Merkwürdigerweise erkannte Herzls engster Vertrauter und wortgewandtester Helfer Max Nordau (ein Pseudonym; sein wirklicher Familienname war Südfeld) mit großer Klarheit, wie sich die Dinge entwickelt hatten und weiter entwickeln würden. Mit einer Hellsicht, die nicht hinter derjenigen Leon Pinskers zurückstand, schilderte er die Entwicklung, zu welcher der von Pinsker erwähnte „unwiderstehliche Druck“ führen würde. Bei demselben Kongress, bei dem Herzl so schwer gedemütigt wurde, gab Nordau folgende, sehr zutreffende Prognose ab:
„Die Worte, die ich jetzt zu Ihnen sagen werde, sind wie die Sprossen einer Leiter, die immer weiter nach oben führt: Herzl, der zionistische Kongress, das englische Uganda-Projekt, der künftige Weltkrieg, die Friedenskonferenz, auf der mit Hilfe Englands ein freies und jüdisches Palästina geschaffen werden wird.“ Also sprach Max Nordau im Jahre 1903. Allerdings unterließ selbst er es, die logische Schlussfolgerung aus seinen Ausführungen zu ziehen. Dies tat stattdessen ein anderer Delegierter, Dr. Nahum Sokoloff, der sagte: “Jerusalem wird eines Tages die Hauptstadt des Weltfriedens werden.“ Heute, im Jahre 1956, wo die westlichen Regierungen täglich fürchten, Jerusalem könnte tatsächlich vom zionistischen Staat annektiert werden, ist es klar, dass die Zionisten in der Tat das von Sokoloff ausgesprochene Ziel verfolgen, doch ob dieses dem Rest der Menschheit dann wirklich als „Hauptstadt des Weltfriedens“ vorkommen wird, bleibt abzuwarten.
Nach Herzls Tod leitete der spätere Führer des Zionistischen Weltkongresses Dr. Chaim Weizmann die Attacke auf den Uganda-Plan, und schon beim nächsten Kongress (es war der siebte) wurde die Zustimmung zu dieser Offerte rückgängig gemacht. Von diesem Augenblick an war der Zionismus das Werkzeug des talmudistischen Rabbinats im Osten.
Die Geschichte des Uganda-Plans und seiner verächtlichen Ablehnung zeigt, wie gleichgültig sich die herrschende Sekte gegenüber dem Wohlergehen und den Wünschen der jüdischen Massen verhielt, in deren Namen sie angeblich sprach. Anstatt „gleichgültig“ müsste man richtiger „feindselig“ sagen. Den Beweis dafür liefert die Art und Weise, wie die drei Hauptgruppen innerhalb des Judentums auf das Angebot reagierten: Die westlichen, die russischen und die bereits in Palästina ansässigen, die bei der ganzen hitzigen Debatte überhaupt nie der Erwähnung für würdig befunden worden waren.
Wie bereits mehrfach hervorgehoben, waren die westlichen Juden in ihrer übergroßen Mehrheit gegen den Zionismus, ob dieser die angestrebte jüdische Heimstatt nun in Uganda, in Palästina oder anderswo zu gründen gedachte; sie wollten dort bleiben, wo sie waren. Die russischen Juden wurden als Opfer von „Verfolgung“ dargestellt; wenn dies stimmte, mussten sie den Uganda-Plan logischerweise begrüßen. Der begeisterte Empfang, den sie Herzl bereiteten, spricht dafür, dass sie seinen Rat unter allen Umständen befolgt hätten, hätte das Rabbinat ihnen dies erlaubt.
Die bereits in Palästina lebenden Juden waren Feuer und Flamme für Uganda; diesbezügliche Forschungen lassen keinen Zweifel daran zu. Aus diesem Grunde wurden sie von den judaisierten Khasaren Russlands, die unter dem Banner des Zionismus marschierten, als „Verräter“ verunglimpft. Anno 1945 hielt die Zionistische Weltorganisation fest:
„Es war entwürdigend und deprimierend, ansehen zu müssen, wie all diese Menschen, die... das jüdische Palästina jener Zeit als erste aufgebaut hatten, nun ihre eigene Vergangenheit verleugneten und sich von ihr lossagten... Die Leidenschaft für Uganda ging Hand in Hand mit einem tödlichen Hass auf Palästina... In den Gemeindezentren der ersten jüdischen Kolonien beschimpften junge Männer, die in den Schulen der Alliance Israélite erzogen worden waren, Palästina als ‚Land von Leichen und Gräbern', als Land der Malaria und der Augenkrankheiten, als Land, das seine Einwohner vernichte. In diesem Sinne äußerten sich durchaus nicht nur Vereinzelte. Ganz im Gegenteil, nur hier und da gab es ein paar Bewohner, die sich loyal verhielten... Ganz Palästina befand sich im Zustand der Gärung... Die gesamte Opposition gegen Uganda kam von außerhalb Palästinas. In Zion selbst waren alle gegen Zion.“
Was die Massen – ob jüdische oder nichtjüdische – wollten, war ab 1903 freilich nicht von Belang. Ob die Zionisten den Uganda-Plan annahmen oder ablehnten, war letzten Endes bedeutungslos: das Angebot war auf dem Tisch, und hierdurch hatte der Westen einen Weg eingeschlagen, der früher oder später in den Abgrund münden musste. Wie Dr. Weizmann schreibt, verpflichtete sich eine britische Regierung „durch diese Tat“ dazu, die russischen Talmudisten als Vertreter aller Juden anzuerkennen; durch diesen Schritt nahm sie auch die künftigen Generationen ihres Volkes in die Mangel, und ein Jahrzehnt später folgte eine entsprechende Verpflichtungserklärung seitens der Vereinigten Staaten, wo der Boden inzwischen gedüngt worden war.
Dieser im Jahre 1903 erfolgte Schritt der britischen Regierung war der Auslöser der Katastrophen, welche im 20. Jahrhundert über die Welt hereinbrachen. Die Geschichte Zions wurde fortan immer mehr identisch mit der Geschichte westlicher Politiker, die sich „unter unwiderstehlichem Druck“ vor den Karren der Sekte spannen ließen. Somit war 1903 das Jahr, in dem die Verschwörung triumphierte; für das Schicksal des Abendlandes war es ebenso verhängnisvoll wie die Jahre 1914 oder 1939, auf deren Verlauf es direkt eingewirkt hat.