Kapitel 23
Der „Prophet“
Das 19. Jahrhundert war Zeuge einer Entwicklung, welche die Erklärungen des Sanhedrin gegenüber Napoleon zum toten Buchstaben werden ließ und unerbittlich auf eine erneute Absonderung der Juden von ihrer Umwelt und die Errichtung eines theokratischen Staates inmitten anderer Staaten zusteuerte – eine Gefahr, vor der Tiberius bereits zur Zeit Christi gewarnt hatte. Der Kampf verlief nicht so sehr zwischen „den Juden“ und „den Nichtjuden“; wie in jener fernen Vergangenheit, als es Esra und Nehemiah dank der Soldaten des Perserkönigs gelungen war, den Judäern das „neue Gesetz“ aufzuzwingen, war es weit mehr ein Kampf zwischen manchen Juden und manchen Nichtjuden auf der einen und den übrigen Juden sowie den übrigen Nichtjuden auf der anderen Seite. Dieses scheinbare Rätsel findet seine Lösung darin, dass sich die Herrscher der Nichtjuden wie schon so oft in der Vergangenheit mit der herrschenden Sekte innerhalb des Judentums gegen die jüdischen Massen, aber auch gegen ihre eigenen Völker verbündet hatten, die unter der zerstörerischen Tätigkeit der Sekte zu leiden hatten. Dieses Paradox wiederholte sich im 19. Jahrhundert und setzte sich bis in unsere krisengeschüttelte Gegenwart fort, in der alle Nationen aufs schwerste von dieser Entwicklung betroffen sind.
Genau wie die überwältigende Mehrheit der nichtjüdischen Menschheit wurden auch die emanzipierten Juden des Westens von westlichen Politikern verraten, die sich als eine Art Schweizergarde in den Dienst des Zionismus stellten. Deshalb müssen wir uns nun den „Liberalen“ des 19. Jahrhunderts zuwenden, die dem Zionismus ihre Unterstützung angedeihen ließen und es ihm dadurch ermöglichten, verhängnisvollen Einfluss auf die nationale Politik der Staaten zu gewinnen.
Um sich ein Bild davon machen zu können, welchen Menschenschlag diese „Liberalen“ verkörpern, fängt man am zweckmäßigsten bei ihrem Stammvater an. Der „Prophet“ – denn diese Bezeichnung, die Amos einst erbost von sich gewiesen hatte, beanspruchte er für sich – war Henry Wentworth Monk, ein Mann, den heute nur noch die wenigsten kennen. Er war der Prototyp der amerikanischen Präsidenten und britischen Premierminister des 20. Jahrhunderts und das Urbild eines modernen westlichen Politikers.
Um erschöpfend zu erklären, wie ein solcher Mann überhaupt hochkommen konnte, müsste man sich die hauptsächlichen Ideologien und Impulse des 19. Jahrhunderts vergegenwärtigen. Dieses ist uns noch so nahe, dass man zumindest den Versuch wagen kann. Eine Auswirkung der Emanzipation bestand darin, dass sich jeder Wirrkopf für den Bannerträger einer erhabenen Sache hielt. Die Fortschritte der Druckkunst ermöglichten es auch dem hintersten Schaumschläger, seine fragwürdigen Gedanken zu verbreiten. Die immer schnelleren Transportmittel, mit denen selbst die abgelegensten Gebiete zu erreichen waren, befähigten diese Demagogen dazu, fern von ihrer Heimat nach Anliegen zu suchen, für die es sich ihrer Ansicht nach zu kämpfen lohnte. Unter diesen Umständen konnte sich Verantwortungslosigkeit als christliche Nächstenliebe tarnen, wenn sie den Menschen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal äthiopischer Waisenkinder vorwarf, und wer konnte die Tatsachen überprüfen? Charles Dickens hat diesen Menschentyp in der Gestalt von Stiggins geschildert, der eine Gesellschaft zur Ausstattung von Negerkindern mit Taschentüchern gründete; Disraeli wies darauf hin, dass das grenzenlose Elend der Bergwerkarbeiter in Nordengland „der Aufmerksamkeit der Gesellschaft zur Abschaffung der Negersklaverei offenbar entgangen ist“.
Die neue Methode, sich werbewirksam ins Rampenlicht zu setzen, war so unwiderstehlich, dass die Zurechtweisungen eines Dickens oder eines Disraeli jene Schwärmer, die sich durch das verführerische Wort „liberal“ magisch angezogen fühlten, nicht abzuschrecken vermochten. Wie ein Lauffeuer breitete sich unter den Liberalen der Drang nach allerlei Reformen aus; die „Menschenrechte“ mussten durchgesetzt werden, und Missstände, die man im eigenen Land eben abgeschafft hatte, ließen sich unter fernen Völkern mühelos auffinden (je ferner sie waren, desto eifriger warb man für die Abschaffung der Missstände unter ihnen).
Für die Selbstgerechten, die für die anderen nur das Allerbeste wollten, ohne sich darum zu kümmern, welchen Schaden sie mit ihren unbedachten Aktivitäten anrichteten, war ein goldenes Zeitalter angebrochen. Diese Gutmenschen beeinflussten das Denken einer Generation, schufen zugleich aber auch eine regelrechte Industrie, weil ihre Tätigkeit ihnen nicht bloß Berühmtheit, sondern auch handgreifliche materielle Vorteile einbrachte. Im Namen der Freiheit spendeten solche Menschen in unseren Tagen der erneuten Versklavung halb Europas nicht nur Beifall, sondern trugen sogar aktiv dazu bei.
In dieser Zeit (genauer im Jahre 1827) wurde Henry Wentworth Monk geboren. Er erblickte das Licht der Welt auf einem Bauernhof am Ottawa River in Kanada weitab von den Zentren der Zivilisation. Im Alter von sieben Jahren wurde er seiner Familie entrissen und nach England gebracht, wo er die Bluecoat School in London besuchte, eine der strengsten Schulen des Landes, in der vor allem ein alleinstehendes Kind nichts zu lachen hatte. Die Knaben trugen die in den Tagen des Schulgründers (Edward VI.) übliche Kleidung: Einen langen blauen Mangel, eine Priesterkrawatte, gelbe Strümpfe und Schnallenschuhe. Sie lebten wie eine abgesonderte Sekte, wurden karg ernährt, bekamen regelmäßig die Rute zu spüren und mussten die Heilige Schrift fleißig studieren.
Der junge Monk besaß viele emotionale Bedürfnisse, die nach Befriedigung schrieen, und sein kindliches Gemüt fand ein ihm angemessenes Betätigungsfeld im Alten Testament, mit dem er sich so intensiv beschäftigte und das er im Licht der modernen Entwicklungen deutete. Mit „schnellen Tieren“, schloss er, hatte Jesaja Eisenbahnen gemeint, und mit „schnellen Boten“ Dampfschiffe. Schon im Kindesalter war er überzeugt, die „Prophezeiungen“ entschlüsseln und Gottes Gedanken zeitgenössisch deuten zu können. Er schlug die Warnungen der israelitischen Propheten und des Neuen Testamentes vor dieser Versuchung in den Wind, und was er „herausfand“, war lediglich die Lehre der levitischen Priesterschaft, wonach die Heiden eines Tages der Vernichtung anheimfallen werden und dem auserwählte Volk im gelobten Land ein Königreich zuteil wird, das über die Welt herrscht.
Die Vorstellung, dass die Zeit reif für die Verwirklichung des göttlichen Plans sei, griff damals auch unter hochgestellten und einflussreichen Persönlichkeiten um sich. Als Monk elf Jahre alt war, regte ein Lord Shaftesbury an, die Großmächte sollten Palästina dem türkischen Sultan abkaufen und den Juden „zurückgeben“. Mit Lord Palmerston besaß England damals allerdings einen Staatsmann, der für derartige Pläne nicht zu gewinnen war, so dass vorerst nichts Konkretes geschah. Doch der junge Monk hatte Feuer gefangen; somit war ein Prophet geboren, der die restlichen sechzig Jahre seines Lebens voll und ganz in den Dienst dieser Idee stellen sollte.
Im Alter von vierzehn Jahren erhielt er einen Sonderurlaub, um einer Predigt des „ersten englischen Bischofs in Jerusalem“ beiwohnen zu können (der Mann hieß Solomon Alexander). Mit leuchtenden Augen kehrte der Knabe in seine Schule zurück; von nun an gab es für ihn kein anderes Ziel mehr, als Palästina für ein ihm gänzlich unbekanntes Volk zu gewinnen, ohne Rücksicht auf die Menschen, die bereits dort lebten. Seine Fixierung auf dieses Ziel hinderte ihn daran, auf dem Bauernhof seines Vaters in Kanada zu bleiben, auf den er zeitweilig zurückgekehrt war, und vereitelte auch seine geplante Weihe zum Geistlichen. Immer und immer wieder vertiefte er sich in das Alte Testament; dieses galt ihm als Code, den er entziffern konnte. Somit verfiel er dem klassischen Irrtum jener, die sich zwar als Christen bezeichnen, ihre Aufmerksamkeit jedoch ausschließlich dem Alten Testament zuwenden und das Neue vergessen. Indem sie von dem Postulat ausgehen, dass die alttestamentarischen Prophezeiungen wortwörtlich in Erfüllung gehen müssen, akzeptieren sie das jüdische Gesetz de facto als politischen Vertrag, der Gott keinerlei Freiheit mehr lässt, es sei denn bezüglich des Zeitpunkts, zu dem er seine Verheißungen wahrmacht. Konsequent durchgedacht, führt dieser Gedankengang zur Verneinung des Christentums und alles Göttlichen, und es kann leicht passieren, dass jemand, der so denkt, sich selbst für Gott hält. Diesem fatalen Irrtum sind alle führenden Politiker des Westens in unserem Jahrhundert aufgesessen, und Monk war ihr Prototyp.
Selbst im abgelegenen Kanada stieß er auf andere Propheten. Zu diesen gehörte ein amerikanischer Jude namens Major Modecai Noah, der auf einer Insel im Niagarafluss eine „Fluchtburg“ für die Juden errichten wollte, ehe sie ins gelobte Land „zurückkehrten“; vor wem amerikanische Juden vor ihrer Auswanderung nach Palästina wohl flüchten mussten, wusste nur er allein. Ein Warder Cresson, erster amerikanischer Konsul in Jerusalem, erwärmte sich dermaßen für die „Heimkehr“ der Juden, dass er zum jüdischen Glauben übertrat und ein Buch mit dem Titel Jerusalem, The Centre and Joy of the Whole World (Jerusalem, das Zentrum und die Freude der ganzen Welt) schrieb. Nach seiner Rückkehr nach Amerika ließ er sich von seiner nichtjüdischen Frau scheiden, nahm den Namen Michael Boas Israel an, trat abermals die Fahrt nach Palästina an und ehelichte dort eine jüdische Maid, mit der er sich nur per Handzeichen verständigen konnte.
Diese Vorbilder beflügelten Monks Eifer noch. Er beschloss, nach alttestamentarischer Tradition sein Haar nicht mehr zu schneiden und keinerlei Schmuck mehr zu tragen, bis Zion „wiederhergestellt“ war. Da er mit ungemein üppigem Haarwuchs gesegnet war, sah er schon bald wie ein struppiger Waldmensch aus. Er verkaufte seinen bescheidenen Besitz, und da er fortan nie mehr einer bezahlten Arbeit nachging, war er bis zum Ende seiner Tage auf Sponsoren angewiesen. Mit sechsundzwanzig Jahren trat er die Reise nach Jerusalem an, das er nach großen Strapazen erreichte, doch da er einen schäbigen und ungepflegten Eindruck hinterließ, fand er mit seiner Botschaft dort herzlich wenig Gehör.
Nur einer schicksalhaften Begegnung war es zu verdanken, dass Monk zu diesem Zeitpunkt nicht in der Versenkung verschwand. In unserem Jahrhundert der Weltkriege und Langstreckenraketen neigen wir dazu, das neunzehnte Jahrhundert als verhältnismäßig stabile und friedliche Zeit zu betrachten, in der keine Weltuntergangsstimmung herrschte, doch wer sich näher mit seiner Geschichte und insbesondere dem Streit um Zion befasst, entdeckt zu seiner Verwunderung, wieviele gebildete Männer permanent in Furcht und Schrecken lebten, da sie der Ansicht waren, sie könnten der Vernichtung nur entrinnen, wenn ein gewisser Teil der Weltbevölkerung auf arabisches Territorium umgesiedelt werde. So kreuzte sich der Pfad unseres Propheten mit dem eines anderen Mannes, der denselben bizarren Vorstellungen anhing.
In Jerusalem tauchte ein junger englischer Maler namens Holman Hunt auf. Auch er war bereit, alles für eine „Sache“ zu geben; wie so viele junge Künstler fühlte er sich von den Kunstakademien verkannt, was ihn in einen permanent gereizten Zustand versetzte. Hunt war gesundheitlich angeschlagen und befürchtete, früh sterben zu müssen (er wurde dann dreiundachtzig). Er hatte soeben ein Bild mit dem Titel Das Licht der Welt vollendet, auf dem Jesus mit der Laterne in der Hand vor dem Tor des Sünders zu sehen war, als er auf den bärtigen Monk aufmerksam wurde. Nachdem ihm der Prophet seine Idee dargelegt hatte, der Menschheit (einschließlich der Akademiker) ihre baldige Vernichtung in Aussicht zu stellen, wenn sie nicht tat, was ihr die Propheten geboten hatten, war er sofort Feuer und Flamme.
So schmiedete dieses Tandem, der Prophet und der Künstler, einen Plan, um die gleichgültige Welt wachzurütteln. Monk erklärte dem Maler, der „Sündenbock“ sei das Symbol für die Verfolgung der Juden durch die Menschheit, worauf sie sich darauf einigten, dass Hunt ein Bild des „Sündenbocks“ malen und Monk gleichzeitig ein Buch schreiben sollte, in dem er darlegte, dass es an der Zeit war, den Verfolgten ihre alte Heimat zurückzugeben und so dafür zu sorgen, dass die Prophezeiung in Erfüllung ging.
Die Wahrheit sah freilich ein wenig anders aus. Der „Sündenbock“ war nämlich nichts anderes als eine listige Erfindung der Leviten, die den Priester dazu ermächtigte, die Gemeinde von ihren Sünden zu befreien, indem er zwei Zicklein nahm, von denen er das eine schlachtete und das andere in die Wildnis trieb, damit es durch seine Leiden alle Verstöße und Sünden der Juden auf sich nahm und sie dadurch entsühnte. Der Prophet und der Künstler verkehrten dieses Symbol in sein Gegenteil: Aus dem Sündenbock für die Verstöße der Juden gegen das Gesetz wurde ein Symbol für die Juden selbst, und aus den Peinigern des Sündenbocks wurden die Goyim, welche die Juden unterdrückten!
Holman Hunt machte sich mit Feuereifer an die Arbeit, die für ihn ein echtes Vergnügen war, denn erstens konnte er nun durch die Schaffung eines tiefsinnigen Gemäldes die Akademie, die sein Genie verkannt hatte, widerlegen, und zweitens diente er damit einer „Sache“. Sein Bild würde aussagekräftiger sein als alle Worte, und bald würde ihm Monks Buch folgen, die Interpretation des von ihm dargestellten Symbols. Wenn die Welt erst den „Sündenbock“ zu Gesicht bekam, würde Monk endlich Gehör finden; die Menschen würden ihre Sünde erkennen und Buße tun.
Die Beduinen sahen Hunt, wie er, in arabische Kleidung gehüllt, Pinsel und Gewehr in der Hand, eine weiße Ziege zum Toten Meer trieb. Dort malte er ein ausgezeichnetes Bild einer Ziege (genauer gesagt, von zwei Ziegen, denn die erste starb und musste ersetzt werden). Zur Steigerung des Effekts schuf Hunt eine Hintergrundkulisse in Gestalt eines Kamelskeletts, das er aus Sodom herbeischaffen ließ, und eines Ziegenschädels. Das Gemälde stellte das Leiden des Tieres eindrücklich dar und erweckte den Eindruck, dass die Leviten nicht nur furchtbar grausam, sondern auch Betrüger gewesen waren, denn nur solche konnten dem Volk weismachen, durch die Qualen einer Ziege würden sie von ihren Sünden gereinigt. Hunt nahm sein Kunstwerk nach England mit und gelobte gemeinsam mit Monk, für „den Wiederaufbau des Tempels, die Abschaffung des Krieges zwischen den Menschen und das Kommen des Königreichs Gottes auf Erden“ zu wirken. Vermutlich hat kein anderer Maler mit der Schaffung eines Gemäldes je so ehrgeizige Ziele verfolgt...
Inzwischen hatte Monk sein Buch Simple Interpretation of the Revelation (Einfache Deutung der Offenbarung) fertig geschrieben, und das gemeinsame Unterfangen war abgeschlossen; nun war es an der Welt, darauf zu reagieren. In seinem Buch (dem später noch weitere folgten) unternahm Monk den Versuch, levitische Politik und christliche Lehre miteinander zu versöhnen. Der Ausgangspunkt seiner Argumentation war historisch durchaus einleuchtend: Er wies zu Recht darauf hin, dass die zehn Stämme nicht einfach ausgestorben, sondern in der Menschheit aufgegangen waren. Aus dieser Tatsache entwickelte er nun seine Interpretation, der zufolge die „wahren Israeliten“ (Juden und Christen) nach Palästina auswandern und dort einen Musterstaat gründen sollten; in diesem Punkt wich er also klar vom orthodoxen Zionismus ab. Wenn dies erfolgt sei, argumentierte er demagogisch, werde es keinen Krieg mehr geben. Als nächstes legte er seine eigentliche Kernidee dar (woher er sie bloß hatte?): Jerusalem sollte zum Sitz einer Weltregierung werden. Diese Forderung nahm einen zentralen Gedanken des Zionismus vorweg.
Dass Monk sein Buch überhaupt publizieren konnte, verdankte er einem Mann, den er durch Hunt kennengelernt hatte, dem berühmten Kunstkritiker John Ruskin, der den Verleger Constable dazu überredete, das Opus zu drucken. Genau wie Hunts Gemälde blieb dieses freilich völlig unbeachtet, doch Ruskin griff dem Propheten finanziell unter die Arme und bewahrte ihn somit davor, in Vergessenheit zu geraten.
Auch Ruskin hatte schon früh unter Zwangsvorstellungen gelitten und war mit sich und der Welt unzufrieden. Wie Wilkie Collins, ein für sich solider Schriftsteller, der sich nicht damit zufrieden gab, gute Romane zu schreiben, sondern vergeblich versuchte, Dickens nachzueifern und moralische Empörung zu erwecken, hielt sich auch Ruskin nicht an die alte Volksweisheit „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, sondern war allzeit bereit, alles, was nach einer moralischen Sache aussah, ungeprüft zu fördern. Wie Monk hatte er sich in seiner Kindheit intensiv mit dem Alten Testament beschäftigen müssen (dafür sorgte seine puritanische Mutter, die jeden seiner Schritte lenkte), und er verliebte sich mehrmals in junge Frauen, die seine Gefühle nicht erwiderten und ihn dies auf bisweilen demütigende Weise spüren ließen. Deshalb suchte er stets nach einem Ventil für die Emotionen, die sich in ihm angestaut hatten. Er fürchtete sich vor dem Leben und der Zukunft: die unablässigen Warnungen der Propheten vor dem Zorn Gottes, der sich eines Tages über die Menschheit entladen werde, verstärkten seine Angstzustände noch und bewogen ihn dazu, die Faust in der Tasche zu ballen. Er fand eine große Zuhörerschaft und verfiel demselben antichristlichen Irrtum wie Monk und Holman; Wie sein Biograph Hesketh Pearson in seinem 1952 erschienenen Buch The Man Whistler schreibt, „erlag er der allen falschen Propheten eigenen Wahnvorstellung, sein Wort sei Gottes Wort“, und seine Urteilskraft ließ zusehends nach. Ruskin war es, der dem Propheten Monk die Möglichkeit verlieh, weiter durch die Welt zu ziehen und seine Botschaft zu verkünden.
Nach dem Fiasko mit Monks Buch unternahm Hunt einen neuen Anlauf. Er begann an einem Gemälde zu arbeiten, auf dem Jesus zu sehen war, wie er in der Synagoge die Prophezeiungen über den Messias vorlas und verkündete, der Messias sei er selbst. Um keine Zweifel an der Aussage des Bildes aufkommen zu lassen, benutzte er Monk als Modell für seine Jesusgestalt; die entrüstete Ablehnung Jesu durch die Schriftgelehrten symbolisierte die Verwerfung des Propheten durch die Welt. Eine experimentelle Vorstufe des Bildes befindet sich in der National Gallery in Ottawa; auf ihr ist Monk zu erkennen, wie er in der einen Hand eine Bibel hält (diese ist offen und zeigt das Buch der Offenbarung) und in der anderen eine Ausgabe der Londoner Times. (Als ich auf dieses Kunstwerk stieß, arbeitete ich in Montreal, wo ich mich wie ein Mönch eingeschlossen hatte; die Schwierigkeit und die überwältigende Bedeutung der Aufgabe, der ich mich verschrieben hatte, lasteten zentnerschwer auf mir, doch als ich dieses Bild entdeckte, vernahmen meine Nachbarn zu ihrem Erstaunen, dass in der üblicherweise mäuschenstillen Kammer, in der ein ehemaliger Times -Korrespondent über seinen Wälzern hockte, ein homerisches Gelächter erscholl.)
Nun zeigte der alte Adam sein vertrautes Gesicht: Nachdem es Hunt gelungen war, ein Bild mit dem Titel The Finding of Christ in the Temple für 5.500 Pfund zu verkaufen, schmolzen seine Ressentiments gegen das Leben und die Kunstakademien jäh dahin. Er wurde von Gesellschaftslöwen wie Val Prinsep und Tennyson eingeladen und konnte den struppigen Propheten Monk unmöglich in diese erlauchten Gemächer mitnehmen. Ruskin litt wieder einmal an Liebeskummer und wurde von nagenden Zweifeln befallen. Dennoch nahmen diese beiden sesshaft gewordenen Männer die Warnungen des Propheten, der ihnen mit Vernichtung drohte, wenn sie nicht schleunigst die Übersiedlung der Juden nach Palästina bewerkstelligten, weiterhin sehr ernst. Bis zum Überdruss wiederholte Monk, „der Tag“ stehe kurz bevor; er untermauerte diese Behauptung jeweils mit dem Hinweis auf irgendeine kriegerische Auseinandersetzung in Afrika, in Kleinasien, auf dem Balkan oder in Europa, die angeblich das Ende der Welt ankündigte, und an kriegerischen Konflikten kleineren Umfangs herrschte nie Mangel. Schließlich heckten Hunt und Ruskin einen Plan aus, der dazu angetan war, ihre Ängste zu lindern, ihr Gewissen zu beruhigen und den Propheten zum Schweigen zu bringen: Sie forderten ihn auf, nach Jerusalem zurückzukehren und wie einst Sabbatai Zvi das unmittelbar bevorstehende Tausendjährige Reich zu verkünden.
Der Prophet saß bereits auf gepackten Koffern, als der nächste Krieg ausbrach – zu Monks Verstörung allerdings nicht an einem jener Orte, wo er laut seiner Entzifferung der alttestamentarischen Prophezeiungen eigentlich hätte ausbrechen müssen, um das Ende der Tage einzuläuten, sondern in Amerika, jenem Erdteil also, aus dem seinen Interpretationen zufolge die Rettung kommen sollte!
Nachdem er wieder einmal über die Bücher gegangen war, erklärte Monk, er habe den Fehler in seinen Deutungen entdeckt: Der amerikanische Bürgerkrieg sei in der Tat das Ereignis, welches das Ende der Tage ankündige. Nun war es wirklich an der Zeit, in Sachen Palästina aktiv zu werden, und zwar sofort! John Ruskin versicherte ihn der nötigen Unterstützung: Wenn Monk wirklich ein Prophet sei, solle er sich vor seiner Umsiedlung nach Jerusalem schleunigst nach Amerika begeben und den Himmel um ein Zeichen bitten, das den Krieg beenden werde. Er, Ruskin, sei bereit, die Reise zu finanzieren. So zog der Prophet aus, um dem amerikanischen Bürgerkrieg ein Ende zu bereiten.
Gemäß damaliger Tradition musste jeder Bürger Gelegenheit haben, einem republikanischen Präsidenten persönlich ein Anliegen zu unterbreiten, so dass Abraham Lincoln drei Tage pro Woche von Audienzen in Anspruch genommen wurde. Eines schönen Tages machte ihm der Prophet seine Aufwartung; ihm folgte ein Schwarm von Leuten, die den Präsidenten um Hilfe bitten, ihm irgendwelche Petitionen unterbreiten oder ihn einfach einmal persönlich zu Gesicht bekommen wollten.
Die Gestalt, die Lincoln wie durch ein dichtes Gestrüpp hindurch anstarrte, erweckte seine Neugier; er erkundigte sich, wer dieser Besucher denn sei, und erfuhr, dass es sich um einen Kanadier handelte, der gekommen war, um den Krieg zu beenden. Auf die Frage des Präsidenten, mit welchen Mitteln dies denn zu erreichen sei, regte der Prophet an, der Süden solle seine Sklaven gegen Entschädigung freilassen und der Norden als Gegenleistung in die Sezession des Südens einwilligen. Dieser Vorschlag „schien den Präsidenten zu amüsieren“ (Monk). „Betrachtet ihr Kanadier meine Erklärung über die Emanzipation der Neger nicht als großen Schritt in Richtung auf den sozialen und moralischen Fortschritt der Welt?“ wollte Lincoln wissen.
Monk erwiderte, dies sei nicht genug. „Warum soll auf die Emanzipation des Negers eigentlich nicht ein noch viel wichtigerer Schritt folgen: Die Emanzipation des Juden?“ fragte er. Da der Jude in Amerika längst emanzipiert war, reagierte Lincoln mit ungläubiger Verwunderung: „Der Jude? Warum der Jude? Ist der etwa nicht schon frei?“
„Gewiss, Herr Präsident, der amerikanische Jude ist frei und der britische desgleichen, nicht aber der europäische“, erwiderte Monk. „Wir in Amerika leben so fern vom Rest der Welt, dass wir blind gegenüber dem sind, was in Russland und Preußen und der Türkei vor sich geht. Es kann keinen dauerhaften Frieden auf Erden geben, ehe die zivilisierten Nationen, hoffentlich unter der Führung Großbritanniens und Amerikas, Sühne für das leisten, was sie den Juden in zweitausend Jahren der Verfolgung angetan haben, indem sie ihnen ihre nationale Heimstatt in Palästina wiedergeben und Jerusalem zur Hauptstadt eines wiedervereinigten Christentums machen.“
Bezeichnenderweise war Monk wie fast alle „Liberalen“, die so argumentierten, nie in seinem Leben in Russland oder Preußen gewesen, und von der Türkei kannte er nur deren palästinensische Provinz. In Russland sträubte sich das talmudistische Rabbinat mit Händen und Füssen gegen die Emanzipation; zwei Jahre vor Monks Treffen mit Lincoln war Zar Alexander II. ermordet worden, nachdem er die Verabschiedung einer Verfassung angekündigt hatte, welche die Gründung eines Parlaments vorsah. In Preußen waren die Juden bereits emanzipiert und wurden deshalb von den russischen Juden angegriffen; in der Türkei wurden alle unterworfenen Völkerschaften gleichermaßen und unparteiisch unterdrückt, und die türkischen Juden lebten größtenteils bereits in Palästina, so dass keinerlei Notwendigkeit vorlag, sie dorthin zu verfrachten.
In Lincolns Tagen war die Vorstellung, Kriege dürften nur noch darum ausgefochten werden, um die Gründung eines Judenstaates in Palästina zu ermöglichen, noch neu (heute ist sie de facto längst akzeptiert, wie die beiden Weltkriege gezeigt haben), und der Präsident reagierte abermals mit Verwunderung.
In Amerika tobte damals einer der grausamsten Kriege, welche die abendländische Welt je gesehen hatte. Als phantasiebegabter Mann, der wusste, wie man ungebetene Gäste mit einem Minimum an Grobheit loswird, verabschiedete Lincoln den Propheten mit einem gutmütigen Scherz: „Der Arzt, der meine Füße behandelt, ist Jude“, sagte er, „und er hat mir so oft wieder auf die Beine geholfen, dass ich durchaus gewillt bin, seinen Glaubensgenossen Beine zu machen, damit sie nach Palästina auswandern können.“ Er rief Monk in Erinnerung, dass in Amerika ein blutiger Krieg wütete, und bat ihn, dessen Ende abzuwarten; „dann dürfen wir wieder Visionen haben und Träume träumen“. (Ob Lincoln diese Formulierung wohl zufällig gewählt hat? Er war bibelfest genug, um zu wissen, welches Schicksal das Alte Testament „falschen Propheten und Träumern von Träumen“ weissagt.)
Monk kehrte nach London zurück, und Ruskin zahlte ihm die Reisekosten nach Palästina, wo er allerdings gleich nach seiner Ankunft als lästiger Ausländer wieder abgeschoben wurde. Man schrieb mittlerweile das Jahr 1864. Da Monk keinen roten Heller besaß, verdingte er sich als Seemann auf einem Frachter, der nach Boston fahren sollte, jedoch kurz vor dem Erreichen seines Bestimmungsortes kenterte, so dass der Prophet das letzte Stück Atlantik schwimmend hinter sich bringen musste. Er wurde blutend und halbnackt an Land gespült; ein Bauer, der ihn im Halbdunkel zu Gesicht bekam, hielt ihn für einen Bären und brannte ihm gleich eine Kugel auf den Pelz. Die Aufregungen waren für den Propheten zuviel: Er verlor sein Gedächtnis und begann irre zu reden. In diesem Zustand wurde er nach Großbritannien zurückgeschafft. Nach einigen Jahren erholte er sich wieder, und alsbald übermannten ihn die alten Wahnvorstellungen. Der von ihm so hartnäckig prophezeite „letzte Tag“ war immer noch nicht eingetroffen; der Planet Erde zog nach wie vor seine althergebrachte Bahn. Ein weiteres Mal ging Monk über die Bücher und entdeckte, dass er sich geirrt hatte, als er die Vereinigung von Juden und Christen sowie die Errichtung eines Weltstaates mit Jerusalem als Hauptstadt forderte. Er begriff nun endlich, was Gott den Propheten zufolge tun musste: Er musste zuerst dafür sorgen, dass die Juden die Herrschaft über Palästina errangen, und dann eine weltweite Organisation gründen, welche die Macht besitzt, alle Völker zur Befolgung ihres Gesetzes zu zwingen.
Nach jahrzehntelangen Irrungen und Wirrungen war Monk also mehr oder weniger zufällig über den politischen Plan zur Weltherrschaft gestolpert, der bereits im Alten Testament dargelegt wird, glaubte jedoch weiterhin, den Willen Gottes zu deuten. Nichts weist darauf hin, dass er je in Berührung mit den Eingeweihten und Illuminaten des Großen Plans gekommen wäre. Das einzige jüdische Geld, das er nachweislich erhalten hat, war eine milde Gabe in Höhe von fünf Pfund „für den Fall, dass sie persönlich knapp dran sind“. Er verkehrte stets im Dunstkreis nichtjüdischer „Liberaler“, die sich von seinen Weissagungen beeindruckt zeigten, und lebte auf deren Kosten.
Im Ottawa-Tal, wohin er sich zurückgezogen hatte, schenkte ihm niemand irgendwelche Beachtung, doch im Jahre 1870 erhielt seine Hoffnung, dass der Tag des Gerichts nahe war, durch einen gewaltigen Waldbrand, den er als Zeichen des Himmels deutete, neuen Auftrieb. Zwei Jahre darauf gelang es ihm irgendwie, nach London zurückzukehren und wieder zu Hunt und Ruskin zu stoßen, die ihn für tot gehalten hatten. Ruskin machte damals gerade einer Dame namens Rose La Touche den Hof, so dass er kein Ohr für die Warnungen des Propheten hatte und diesem schrieb: „Ich anerkenne, dass vieles von dem, was du sagst, wundervoll ist, kann aber einfach nicht glauben, dass du so viel von Gott verstehst, wenn du so wenig vom Menschen verstehst... Mir kommt es so vor, als seiest du verrückt, denn ich sollte wissen, dass ich womöglich selbst verrückt bin“ (diese letzten Worte waren unglücklicherweise prophetischer Natur).
Solche Mahnungen waren für den Propheten nichts Neues. Seine Verwandten und Freunde hatten ihn geradezu angefleht, einen Blick auf die Zustände in seiner Heimat zu werfen, wenn er die Menschheit wirklich verbessern wolle: Das Los des kanadischen Indianers, aber auch des weißen Kanadiers, war der Verbesserung dringend bedürftig. Einem Mann, der im Besitz des Schlüssels zum Verständnis der göttlichen Weissagungen war, galten dergleichen Anregungen jedoch als pure Gotteslästerung. Monk verfasste mehrere Schriften, in denen er für die Gründung eines Fonds warb, der die Rückkehr der Juden nach Palästina finanzieren sollte. Hierbei stützte er sich auf eine Idee Ruskins, der damit freilich die Entwicklung seines eigenen Landes im Auge gehabt hatte: Die Reichen sollten ein Zehntel ihres Einkommens abgeben, um die wilden Gegenden Englands urbar zu machen. Monk wollte den Zehnten hingegen für eine bessere Sache aufwenden: Die „Rückkehr“!
Damals (im Jahre 1875) wurde Ruskin wieder einmal von heftigen Depressionen gequält, denn erstens war Rose La Touche gestorben, und zweitens zeichnete sich am Horizont ein neuer Krieg ab, diesmal zwischen Großbritannien und Russland. Ganz offensichtlich hatte der Prophet recht gehabt: Der Tag des Gerichts war in der Tat nicht mehr fern! Ruskin unterzeichnete Monks Manifest und zahlte ein Zehntel seines Vermögens in den vom Propheten gegründeten Fonds ein; Palästina sollte dem Sultan abgekauft werden, während die wilden Gebiete Englands auch weiterhin ihrer Urbarmachung harrten. Wenn diese erste Etappe abgeschlossen war, sollte ein Kongress aller Nationen eine Weltföderation mit Jerusalem als Hauptstadt ausrufen.
Somit hatte der Prophet wieder festen Boden unter den Füßen. Unterstützung erhielt er auch von Laurence Oliphant, einem Salonlöwen der Viktorianischen Epoche, den er in Amerika zufällig kennengelernt hatte. Oliphant war ein Mensch ganz anderen Schlages, ein kühner, zynischer und waghalsiger Abenteurer. Die Idee, Palästina zu kaufen, sagte ihm durchaus zu, doch gab er sich keinen Illusionen hin. In einem Brief an Monk hielt er fest: „Jede beliebige Geldsumme kann dafür aufgebracht werden, da die Menschen glauben, hiermit der Erfüllung einer Prophezeiung Vorschub zu leisten und das Weltenende näher zu bringen. Ich weiß nicht, warum sie letzteres so dringend herbeisehnen, doch erleichtert es die kommerziellen Spekulationen.“ Wie wir bald sehen werden, machte Oliphant kein Hehl aus seiner Verachtung für die Botschaft des Propheten.[8]
1880 war Hunt, dessen Gesundheit immer mehr nachließ, so verstört über kleine kriegerische Episoden in Ägypten und Südafrika, dass er den Weltuntergang für unmittelbar bevorstehend hielt und gemeinsam mit Monk ein Manifest veröffentlichte, das die Pläne unseres Jahrhunderts für eine zionistisch kontrollierte Weltregierung vorwegnahm. Es trug den Titel Die Abschaffung des internationalen Krieges und rief alle Menschen guten Willens dazu auf, ein Zehntel ihres Einkommens für die Verwirklichung des „Königreichs Gottes“ zu spenden, das die Form einer Weltregierung mit Sitz in Palästina aufweisen und den Namen Die Vereinten Nationen tragen sollte. Das Geld sollte an Herrn Monk gehen, damit er Palästina kaufen konnte.
Dies war jedoch bereits der Schwanengesang des Projekts. Ruskin, der sein Ende nahen fühlte, lehnte jede künftige Unterstützung des phantastischen Plans schroff ab. Auch Oliphant wandte sich von Monk ab, und die „Bank of Israel“ blieb ein Luftschloss. Butler wies dem Propheten die Tür. Selbst Holman Hunt drängte diesen schließlich, zu predigen, „dass es einen Gott im Himmel gibt, der jedermann auf Erden richten wird“, und nicht länger so zu tun, als sei er, Monk, mit dem Herrgott identisch. Ganz ähnlich äußerten sich die Juden: „Das Land unserer Vorväter ist tot, und Palästina ist sein Grab... Jeder Versuch, aus dem heutigen, vielsprachigen Volk des Judentums eine Nation zu machen, wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt.“
Doch Monk war unverbesserlich. 1884 kehrte er zum letzten Mal nach Ottawa zurück und verbrachte seine letzten Jahre damit, die Mitglieder des kanadischen Unterhauses mit seinen Reden und Traktaten zu belästigen, wenn sie zwischen den Parlamentssessionen im Garten am Ottawa-Fluss saßen. Sie hörten ihm mit spöttischer Nachsicht zu. Sechzig Jahre später würden kanadische Minister in Ottawa und New York all das, was Monk gesagt hatte, zu unangreifbaren Prinzipien der großen Politik hochjubeln, und kein Abgeordneter würde es wagen, Einwände gegen diese Sicht der Dinge zu erheben.
Monks Leben war eine Kette von Fehlschlägen, die durch keinen wahren Glauben und durch keine echte Mission gemildert wurden. Wenn wir so ausführlich auf diesen Mann und sein Wirken eingegangen sind, dann um zu zeigen, wie verkehrt und töricht der Große Plan damals anmutete und wie schwer die Menschen irrten, die sich vor dem Hintergrund der Verhältnisse im 19. Jahrhundert für seine Verwirklichung einsetzten. Wie verhängnisvoll die Vorstellung von einer zionistisch gesteuerten despotischen Weltregierung ist, wird sofort klar, wenn man sie von derselben Perspektive aus betrachtet wie Monk und seine Mitstreiter. Das Ganze wirkt dann wie eine groteske Komödie, eine Farce, nicht so sehr, weil es mit einem Fehlschlag endete, sondern weil dieser Fehlschlag von Anfang an feststand. Die von Monk und Konsorten geschmiedeten Pläne besassen nicht den Hauch einer Chance auf Erfolg, weil ihre Urheber sich offensichtlich keine Gedanken über die Folgen gemacht hatten, die sie nach sich ziehen mussten; hätten sie dies getan, so hätten sie sogleich begriffen, dass ihr Projekt nur mit einer Katastrophe enden konnte. Da zu jener Zeit Meinungsfreiheit herrschte und der Öffentlichkeit die Möglichkeit offenstand, sich objektiv zu informieren, wirkten diese Männer wie Narren und hinterließen in den Korridoren der Zeit nichts weiter als das gedämpfte Echo ihrer clownischen Tiraden.
Nichtsdestoweniger wurde das damals so ruhmlos gescheiterte wahnwitzige Projekt den Völkern in unserem Jahrhundert als ernsthaftes und dringliches Unterfangen präsentiert, das über den Bedürfnissen der Nationen stehe. Nicht genug damit: Es wurde für sakrosankt erklärt; jede freie Diskussion darüber wurde durch ein ungeschriebenes Gesetz, die sie für häretisch erklärte, bereits im Keim erstickt, und hinter dieser Palisade verklärten die Politiker des Westens den irren Plan des Propheten Henry Wentworth Monk zum unumstößlichen moralischen Prinzip. Wir wissen nicht, in welchem Sektor des Jenseits John Ruskin und Holman Hunt heute weilen, doch jedenfalls können diese beiden viktorianischen Freunde der Unterdrückten heute auf die Gräber der vielen Toten sowie die elenden Baracken blicken, in denen fast eine Million Flüchtlinge hausen, und sich somit die ersten Ergebnisse des großen Plans, für den sie sich so eifrig einsetzten, anschaulich vor Augen führen.
Hätte Monk in unserem Jahrhundert gelebt, so wäre er gewiss in eine hohe Stellung aufgerückt, denn die Unterstützung der Sache, der er sich mit Haut und Haar widmete, ist inzwischen zur unabdingbaren Voraussetzung für eine politische Karriere geworden. Was sein Leben verdarb, war seine maßlose Selbstüberschätzung, doch in seinem Todesjahr 1896 wurde die Fantasie, die das Leitmotiv seiner Existenz gewesen war, zu einer politischen und praktischen Realität, welche die Welt in Zukunft immer nachhaltiger prägen sollte. Während er zwischen Ottawa, Washington, London und Jerusalem hin- und herpendelte, arbeiteten ganz andere Männer in Russland zielstrebig auf die Schaffung einer wahrhaft schlagkräftigen zionistischen Bewegung hin. 1896 wurde diese auf die Menschheit losgelassen, und die Explosionen, die sie verursachte, wurden mit der Zeit immer lauter und zerstörerischer, bis hin in unsere Tage, wo sie selbst von den Journalisten häufig als Lunte an einem Pulverfass bezeichnet wird, dessen Detonation die Welt zum dritten Mal in unserem Jahrhundert in Brand setzen könnte.
8. Oliphant berührte hiermit einen interessanten Punkt. Eine Interpretation der zahlreichen alttestamentarischen Prophezeiungen besagt, dass das Ende der Welt nach der „Rückkehr“ der Juden nach Palästina erfolgen wird, so dass Leute, welche diese „Rückwanderung“ fördern, de facto den Augenblick bestimmen, zu dem Jahwe das Ende des Planeten einläutet. Nicht minder perplex als Oliphant war hierüber ein französischer Politiker bei der Pariser Friedenskonferenz von 1919, der Balfour fragte, warum er die „Rückkehr“ der Juden nach Palästina so eifrig unterstütze; wenn dieses Ereignis der Erfüllung einer Prophezeiung gleichkomme, gehe aus dieser auch hervor, dass das Ende der Welt nahe sei. „Genau dies macht das alles so interessant“, erwiderte Balfour lässig. (Zurück)