Blickt man bei schönem Wetter aus einem Flugzeug auf Deutschland herab, so sieht man ein Land, das zum Urlaub machen und zum Träumen einlädt. Fliegt man tiefer und kommt über Städte und Gemeinden, so erkennt man ab einer gewissen Höhe auch die einzelnen Häuser, und alles erscheint ordentlich und ge­pflegt.

Geht es den Deutschen also gut?

Nun, schon aus nur wenigen Kilometern Höhe lässt sich kaum noch erkennen, dass das Land gerade ein vehementer Abstieg von einer führenden Industrie­nation zu einem Schlusslicht der westlichen Welt vollführt. Aus der Höhe besehen fällt nur dem Vielgereisten im Vergleich zu anderen Ländern der relative Mangel an moderner Architektur und an vielspurigen Autobahnen auf. Zwischen den kleinen friesischen Fischerdörfern im Norden und den idyllischen Berghöfen im Süden fehlen in den Städten alle zukunftsweisende Bauwerke, es gibt nur die Fernsehtürme, Fußballstadien und ein paar Hochhäuser in Frankfurt. Auf den Straßen dazwischen sieht man dichten Verkehr mit vielen langen Baustellen. Die Sorgen der Menschen aber kann man aus dieser Perspektive schließlich ohnehin nicht erkennen. Aus der Vogelperspektive sieht man sie nicht – und offensichtlich auch nicht, wenn man im Bundestag sitzt. Wie in den Wolken zuhause redete da Bundeskanzlerin Angela Merkel 2007, nur einem Jahr vor der Finanzkriese, vom Aufschwung, der bei den Menschen angekommen sei.

Tatsächlich sieht jeder die Welt nur entsprechend seiner Erwartungen, und Experimente zeigen, dass Menschen selbst ausgewachsene Gorillas am Straßenrand nicht wahrnehmen, wenn sie sie dort nicht erwarten. Und die Bundeskanzlerin und ihre Abgeordneten im Parlament reden vom Wohlstand, weil sie von der Realität der Bürger im Land längst nichts mehr wissen - oder wissen wollen. Spricht man aber mit den Menschen, so stellt man fest, dass die Situation in Deutschland alarmierend ist. Und zwar über fast alle Berufe und alle Lebensphasen hinweg, von der Kindheit angefangen über Studium, Arbeitssuche, Existenzgründung, Erwerbsleben, Krankheit bis hin zur Rente.

Beginnen wir damit, wie es den Kindern geht. Die Kinderarmut in Westdeutschland hat sich seit 1989 von 4,5% auf 9,8% in 2001 verdoppelt, in Ostdeutschland sogar auf 12,6%.[1] Eine UNICEF-Studie über 24 OECD-Staaten bestätigte 2005, dass in Deutschland 10% der Kinder mit einem Einkommen unterhalb der Armutsgrenze leben, d.h. unterhalb der Hälfte des durchschnittlichen OECD-weiten Nettoeinkommens.[2] Nach dem Armutsbericht für die Bundesregierung lebten 2008 bereits 13% der Bevölkerung in Armut, manche Quellen errechnen sogar 17,1%.[3] Nach dem Bericht von 2009 sind 24% der Deutschen ohne Sozialleistungen armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gelten alle unterhalb von 60% des mittleren Einkommens entsprechend 913 €. Einzelne Gruppen und Städte weisen dabei noch sehr viel schlimmere Werte auf. In Lübeck sind 25% der Kinder arm, in Berlin müssen sogar 36% der Kinder von Hartz IV leben.[4] Bei den Alleinerziehenden leben 40% der Kinder in Armut. Diese Kinder werden regelmäßig ohne Frühstück in die Schule geschickt und die Eltern können sich die 50 € monatlich für das Mittagessen in der Schule nicht leisten.[5] Die EU hat zwar ein Programm zur kostenlosen Verteilung von Obst an den Schulen aufgelegt, aber der deutsche Bundesrat lehnte die Teilnahme Deutschlands aus Kostengründen ab.[6] Auch in Berlin. In Berlin werden 15.000 Kinder von gemeinnützigen Einrichtungen verköstigt und müssten sonst hungern.[7] Nach einer Studie des paritätischen Wohlfahrtsverbandes von 2006 lebt in Ostdeutschland inzwischen jedes vierte Kind unter 15 Jahren vom so genannten Sozialgeld, in Görlitz sogar jedes dritte.[8] Bei den Kindern scheint der Aufschwung also nicht angekommen zu sein.

Wie sieht es beispielsweise in Köln und in München mit den Einrichtungen für Kinder und Jugendliche aus? In Köln waren 2003 über 300 Positionen auf der Streichungsliste. Wie in vielen anderen Orten mussten auch in Köln Schwimmbäder, Kindergärten und Jugendheime schließen. In München sollten die Kinder- und Jugendfreizeitstätten um ein Viertel weniger Bezüge erhalten. Die kommunalen Investitionen sind hier in den letzten 10 Jahren um 35% gesunken.[9] Auch die Jugendlichen haben vom Aufschwung nichts abbekommen. Und für die Schulen liegt im europäischen Vergleich die Finanzausstattung im unteren Drittel, es gibt zu große Klassen und zu wenig Lehrer, jedes Jahr enden 80.000 Schüler ohne Abschluss. Deutschland hat die schärfste Bildungsselektion in Europa.[10]

Von den Jugendlichen zu den Studenten, die nach einem Turboabitur nun Studiengebühren zahlen müssen. Wir stellen an den Universitäten fest, dass in vielen Gebäuden der Putz von den Decken rieselt. Ganzen Instituten stehen oft nur lächerliche Budgets zur Verfügung, die nicht mal für das Porto reichen. Professorenstellen bleiben über Jahre unbesetzt. Während im „Entwicklungsland“ Malaysia die Professorenstellen und die Budgets in den letzten vier Jahren bis 2008 um die Hälfte zugenommen haben, sind in Deutschland die Stellen weniger und Budgets kleiner geworden. An den Berliner Hochschulen gibt es 2008 ein Drittel weniger Professoren wie 1992, ihre Zahl ist in dieser Zeit von 13.000 auf 8.200 gesunken.[11] Ganze Fakultäten sollen in Deutschland aus Geldmangel geschlossen werden, wie z.B. die medizinische Fakultät in Lübeck. Für 2004 wurden die bundesweiten universitären Baumaßnahmen um weitere 135 Mio € zusammengestrichen.[12] Viele Bibliotheken sind schon lange nicht mehr in der Lage, neue Bücher anzuschaffen, Zeitschriften-Abos wurden vielerorts auf unter 10% des wünschenswerten Bestandes zurückgefahren. Mit 8,3 Mrd € gibt die Bundesregierung gerade einmal 1,5% des BIP für Bildung aus, während der EU-Durchschnitt bei 2,5% liegt.[13] China hat 2009 rd. 20 Mrd € (151 Mrd Yuan) für Wissenschaft und Technik ausgegeben, 30% mehr als 2008![14] Fürs Militär gibt Deutschland dagegen im Vergleich spitzenmäßig viel aus, einen weit höheren Anteil als Russland. Auch für die Studenten hat der Aufschwung also eher Einbußen gebracht.

Von der Uni kommen wir zur Arbeitssuche und zur Existenzgründung, beispielsweise in Halle und in Berlin. Die Politiker prahlen Jahr um Jahr mit weiter gesunkenen Arbeitslosenzahlen. Im Juni 2009 soll die Zahl auf 3.410.000 gesunken sein. Doch neben diesen Beziehern von ALG I werden die 4.940.000 Bezieher von Arbeitslosengeld II bzw. von Sozialhilfe Hartz IV nicht mitgezählt, ebenso wenig wie 2,85 Mio Ein-Euro-Jobber, 700.000 Kurzarbeiter, die 480.000 in den Vorruhestand geschickten und die 1.5 Mio in Qualifizierungskurse abkommandierten. Man könnte also auch 12 Mio Arbeitslose zählen, die es neben den 38,8 Mio Erwerbstätigen[15] gibt. Die Stadt Halle in Sachen-Anhalt hat mit 27% denn auch die höchste Arbeitslosigkeit Europas.[16] Die Politiker bedienen das Klischee, es handle sich bei den Arbeitslosen um asoziale, faule Nichtsnutze,[17] doch inzwischen finden sich auch viele Akademiker unter den Arbeitslosen. 2009 besitzen 480.000 Arbeitslose die Fach-oder Hochschulreife.[18] In Berlin sind 20% der Obdachlosen Akademiker, darunter promovierte Juristen und Chemiker, es finden sich Arbeitssuchende, die vier Sprachen fließend sprechen.[19] Man erkennt in der Hauptstadt immer mehr, dass hier mittlerweile 300.000 Einwohner von der Sozialhilfe leben und ca. 10.000 wohnungslos oder obdachlos sind,[20] aber die Stadt muss die nächsten 25 Jahre lang jedes Jahr 300 Mio € an Schuldentilgung zahlen.[21] Gleichwohl durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO im Artikel 2 jede Art von Arbeit unter Androhung irgendeiner Strafe verboten ist, verlangt der Staat das Annehmen von 1€-Jobs und führt damit die Zwangsarbeit ein, und Arbeitslose werden dabei oft zu Tätigkeiten gezwungen, bei denen ihnen mehr Kleidungsstücke kaputt gehen als sie mit ihrem Verdienst ersetzen können. Von einem Aufschwung kann hier also wirklich keine Rede sein.

Die Anzahl der in Vollzeit Erwerbstätigen in Deutschland nimmt kontinuierlich weiter ab. Es ist deswegen nicht ungewöhnlich, dass sich heute 500 Berufsanfänger auf eine einzige Stelle bewerben. Dagegen nimmt der Anteil der atypisch Beschäftigten kontinuierlich zu. Ein Viertel Beschäftigten hat nur noch einen Niedriglohnjob,[22] 2,5 Mio haben sogar nur einen sog. Mini-Job für 400 € im Monat.[23] Mini im Lohn, maxi in der Arbeit und für 2,5 Mio Haushalte das Haupteinkommen. Manche arbeiten in einem Mini-Job 30 Stunden die Woche, nachdem die Begrenzung auf 15 Stunden fallen gelassen wurde. Praktikantenstellen ersetzen vollwertige Tätigkeiten. Zunehmend wandeln Firmen Vollzeit-Jobs zu Teilzeitbeschäftigungen und Teilzeitbeschäftigungen zu Mini-Jobs um.[24] Mindestlöhne gibt es in 20 von 27 EU-Ländern und beispielsweise in China, nicht aber in Deutschland.[25] 2006 hatte der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer nur 1.452 € netto auf dem Lohnzettel, aber auch benachbarten Österreich sind die Verhältnisse nicht besser.[26]

Was sagen die Existenzgründer, die heute noch kleinen großen Unternehmen von morgen? Sie fühlen sich mehr gefordert, als gefördert, die Bürokratie wird auf ihrer Seite verschärft und nur auf der die Staatsmacht begünstigenden Seite abgebaut. Neu gegründete Firmen müssen beispielsweise sofort ab Gründung monatlich Umsatzsteuererklärungen abgeben, nicht viertel- oder halbjährlich, auch wenn sie noch gar keinen Umsatz machen. Und wenn eine Erklärung ein paar Tage zu spät eingeht, sind sofort Strafbeträge fällig. Weniger Bürokratie bedeutet, dass die Mahnungen jetzt ohne Erinnerungen vorweg kommen und dass die Finanzämter nach einer Mahnung sofort zu Vollstreckungsbescheiden übergehen. Weniger Bürokratie bedeutet für sie, dass gegen fehlerhafte amtliche Bescheide keine Widersprüche mehr erlaubt sind sondern Klage erhoben werden muss. Junge Unternehmer, die in den ersten Jahren froh sind, überhaupt einen Nettogewinn zu machen, sollen davon monatlich freiwillige Krankenkassenbeträge in Höhe von 270 € abführen, genau so viel wie fest etablierte Manager von Weltunternehmen. Eine Mitversicherung beim Ehepartner oder eine Beihilferegelung wie für Beamte ist für Neugründer nicht vorgesehen. Eine Förderung der jungen Unternehmer ist de facto nicht erkennbar, vielmehr werden da immer neue Erschwernisse geschaffen.

Und wie steht es um die ärztliche Versorgung? Viele Krankenhäuser darben so dahin, dass das deutsche Ärzteblatt 2006 davon ausging, dass in den nächsten Jahren ein Viertel von ihnen schließen muss.[27] Im November 2008 ging die Unternehmensberatung McKinsey sogar davon aus, dass ein Drittel der deutschen Krankenhäuser die nächsten Jahre nicht überleben wird. Einige können sich das Druckerpapier für den Ausdruck der Analysewerte nicht mehr leisten. Über alle deutschen Krankenhäuser sollen 30% der Bettenkapazität abgebaut werden, was der Schließung von über 100 Krankenhäusern entspricht.[28] Die Bundesregierung sucht das Heil in der Privatisierung, doch ist das die Lösung? Rund 20% der Krankenhäuser in Deutschland sind mittlerweile in privater Hand, und viele haben 10% der Mitarbeiter abgebaut. Etwa 50.000 Stellen sind so in den letzten 10 Jahren gestrichen worden. Es ist heute nicht mehr ungewöhnlich, dass eine Krankenschwester für bis zu 30 Patienten zuständig ist. Und die verbleibenden Mitarbeiter mussten regelmäßig Lohnkürzungen um rund 30% hinnehmen. Dialysepatienten dürfen jetzt nur noch maximal dreimal die Woche an das lebensrettende Gerät, brauchen sie mehr Behandlungen pro Woche, müssen sie das selbst bezahlen. Zu pflegende Dekubituskranke erhalten oft Behandlungen, die zu kurz sind um eine ausreichende heilende Wirkung zu erzielen. Manche Krankenhäuser sparen heute auch an der Hygiene, die Krankenbetten in Sterilisationsräumen werden nicht mehr sterilisiert, sie werden jetzt nur noch abgesprüht und abgewischt, bevor ein neuer Patient sein Bettzeug darauf bekommt. Schon nehmen deswegen tödliche Infektionen bei Operationen zu und kosten in Deutschland jedes Jahr 40.000 Menschenleben, da suchen Patienten wegen kleiner Eingriffe ein Krankenhaus auf und sterben dann an Krankenhauskeimen. Die Kliniken in den Niederlanden haben auf die deutschen Zustände schon reagiert und nehmen jeden Patienten aus Deutschland erst einmal unter Quarantäne.[29]

Und auch den Ärzten in den kleinen Praxen geht es nicht besser. Viele Ärzte geben auf und schließen ihre Praxen, weil sie unterm Strich ein Minus machen.[30] 2005 standen 30.000 der 96.000 Arztpraxen in Deutschland vor der Schließung oder der Insolvenz, wie Unterlagen der Verbände und des statistischen Bundesamtes belegen.[31] Als sich im Januar 2008 von den 8000 bayerischen Hausärzten 7000 in Nürnberg zu einer Protestveranstaltung versammelten, berichtete praktisch keine große Zeitung darüber. Im September 2008 stellten in Berlin neun Kliniken ihre prekäre Situation mit einer Plakataktion dar. Und auch als dann 130.000 Krankenhausmitarbeiter zur größten Protestveranstaltung im Gesundheitssystem in der deutschen Geschichte in Berlin zusammenkamen, nahm man davon nur am Rande Notiz. Im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung ist ein Aufschwung jedenfalls nicht erkennbar. Eher schon im Gegenteil.

Zum Straßenbau. In Schleswig-Holstein finden wir die Bundesstraße B 404. Aus Geldmangel dauert ihr Ausbau nun schon irrwitzig lange. Der Ausbau der nur etwa 90 km langen Straße zur Autobahn dauert nun schon über 40 Jahre und ist immer noch nicht abgeschlossen. An anderen Autobahnen kann man die ur­sprünglich für die Straßen geplanten Brücken bei den inzwischen geänderten Verhältnissen so gar nicht mehr brauchen, und sie stehen als Betonklötze ohne Zufahrt frei auf Feldern herum. Andererseits aber sind ein Drittel der 36.000 Straßenbrücken in Deutschland inzwischen in einem kritischen Zustand und eigentlich sanierungsbedürftig.[32] Eine Studie des ADAC belegt derweilen, dass die von den deutschen Kraftfahrern eingesammelten Steuern teils nur zu einem Viertel für den Straßenverkehr verwendet werden, als wäre da so viel für anderes übrig.[33] Zum Vergleich: In China wurden allein 2009 neue Autobahnen mit eine Gesamtlänge von 4719 km dem Verkehr übergeben.[34]

Und wie geht es den deutschen Rentnern? Ein Vergleich der OECD für 2009 zeigt, dass in Deutschland das Durchschnittsrentenniveau der Rente unterhalb des Levels europäischer Staaten liegt.[35] Beispiele: In Berlin hat Herr G. Schmidt sein Leben lang als Diplom-Ingenieur gearbeitet, während seine Frau die Kinder großzog. Bei sieben Kindern hätte sie auch keiner anderen Arbeit nachgehen können. Als Akademiker verdiente er einst gut, doch heute als Rentner muss die Familie täglich ums Überleben kämpfen. Seit Juli 2003 beziehen die Schmidts 924,73 € an Rente. Fünf der Kinder leben noch daheim und nun ist alles etwas knapp.[36] Oder nehmen wir die Allein­stehende Sigrid Ballner aus Trier. Ihr hat die BfA 1991 eine Rente von 600 € im Monat in Aussicht gestellt. 2003 bekam sie mitgeteilt, dass sie nur noch 500 € pro Monat erwarten könnte.[37] Viele Einzahler bei der BfA stellen fest, dass obwohl sie Jahr um Jahr in die Rentenversicherung einzahlen, die ihnen in Aussicht gestellte Rente von Jahr zu Jahr geringer wird, was die BfA mit der relativen demografischen Verringerung der Einzahler begründet. In München hat das Ehepaar Ceplak 27 Jahre gearbeitet, er als Kellner, sie als Verkäuferin in einem Kiosk. Dafür erhalten sie jetzt eine Rente von zusammen 780 €. Sie konnten zwar ein Leben lang in München arbeiten, aber eine Wohnung mit Bad können sie sich heute in München nicht mehr leisten. Hätten sie nie in die Rentenkasse eingezahlt und müssten von Sozialhilfe leben, würden sie finanziell auch nicht schlechter dastehen. In Bayern lag die durchschnittliche monatliche Rentenhöhe 2007 bei nur 647 €. Wohlgemerkt ist dies die Durchschnittsrente, weswegen die entsprechenden Lebensverhältnisse mit diesen Einkommen durchaus als charakteristisch für die allgemeine Lebenssituation der Rentner in Bayern angesehen werden müssen, wobei Bayern ja noch ein reiches Bundesland ist. Im Dezember 2008 stellt die TV-Sendung Report München fest, dass in Deutschland immer mehr Rentner gezwungen sind, bis zum Umfallen weiterzuarbeiten, sie müssen Gelegenheitsarbeiten annehmen oder Flaschen sammeln, um zu überleben.[38] Zahlen der Bundesagentur für Arbeit belegen, dass zwischen 2003 und 2009 die Zahl der Rentner mit Minijobs um 29% zugenommen hat.

Was ist mit den Einzelhändlern? Die letzten Jahre waren für den deutschen Einzelhandel die schlechtesten Jahre nach 1945. Aufgrund des allgemeinen Geldmangels gibt es in Deutschland immer mehr Firmenpleiten. 2002 waren es über 40.000. In manchen Branchen verringert sich die Anzahl der Selbständigen von Monat zu Monat um 1%. Dazu kommen immer mehr private Insolvenzen. In 2005 waren sie im Vergleich zum Vorjahr um ein ganzes Drittel auf 66.400 Fälle gestiegen,[39] 2008 waren es bereits 74.800 Fälle. Nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform waren in 2007 eine Anzahl von 7,3 Mio Deutsche völlig bankrott und rettungslos überschuldet.[40] Nach einer Studie von EuroStat zur Finanzlage der Europäer 2007 können 39% der Deutschen keine 860 € für unerwartete Ausgaben aufbringen, was Deutschland zum zweitärmsten Land Europas macht.

Zur kulturellen Szene, den Theatern, Musicals und Orchestern? Was sagen deren Direktoren? Sie sagen, dass Kultur von der öffentlichen Hand zunehmend nur noch als „nice to have“ angesehen wird. Die Kulturszene wird durch die wirtschaftliche Lage Deutschlands besonders getroffen, weil sie keine schnellen Gewinne bringt. Städte wie Köln und München müssen Theater schließen, in München und andernorts führen viele Theater einen verzweifelten Kampf ums Überleben. Besonders hart sind die Orchester in Deutschland betroffen, die zusammengelegt oder einfach geschlossen werden. Hier werden historische Strukturen abgebaut, die so leicht nicht wieder nachwachsen werden.

Spricht man in den großen Unternehmen mit den mittleren Managern, die die Forderungen der obersten Führung umzusetzen haben, dann fallen immer mehr Sorgen um die Qualität des Outputs auf. Zur Maximierung ihres Profits sind viele große Firmen nämlich dazu übergegangen, Personalkosten durch die Entlassung älterer Arbeitnehmer einzusparen. Das bedeutet für viele Bereiche, dass die Know-How-Träger entlassen und durch Praktikanten und Berufsanfänger ersetzt werden. Manchmal werden Stellen für Qualitätsmanager zwar offiziell ausgewiesen, aber inoffiziell dann doch eingespart. Noch zehren einige große deutsche Firmen auf dem globalen Markt ein wenig von ihrem guten Namen aus vergangenen Zeiten, doch schon sind manche Qualitätsaspekte keinesfalls mehr sichergestellt. Da funktionieren deutsche Lokomotiven in Skandinavien nicht mehr bei Gefriertemperaturen, da wird die Vernachlässigung der Sicherheitsvorschriften bei einer neuen deutschen Straßenbahn als Desaster beschrieben, da funktioniert die Software für ein Bahnstellwerk über Jahre genauso wenig wie die deutsche Software für englische Flughäfen, und die deutsche Software für die neuen biometrischen Ausweise Bulgariens ist eine einzige Pannenserie, da musste die englische Gesundheits- und Sicherheitsbehörde Health & Safety ein aus Deutschland stammendes medizinisches Bestrahlungsgerät sperren, weil die EG-Vorschriften nicht eingehalten werden, da sind benutzerfreundliche Bedienoberflächen von Produkten keinesfalls sicher vorhanden sondern nur noch auf besonderen Wunsch zu haben, ja die Profitmaximierung über Qualitätsaspekte hinweg hat inzwischen sogar die Luftfahrt erreicht, wie der Absturz von AF447 und andere Flugunglücke zeigen. Von dem guten Namen, den deutsche Firmen wegen ihrer Qualitätsprodukte in der Vergangenheit einmal hatten, werden die deutschen Firmen aber nicht mehr lange leben können.[41] Kein Wunder, wenn Firmenstolz und Familiensinn von früher da zunehmend durch bloßes Mobbing und Karrieredenken ersetzt werden.

Während Länder wie Singapur, Malaysia und China in den letzten Jahren größte Fortschritte gemacht haben und die heute zur Verfügung stehenden Technologien nutzen, um für ihre Bevölkerungen ein immer futuristisch-paradisischeres Leben in modernsten Städten zu verwirklichen, kennzeichnet den Westen ein altbackenes Klima der zunehmenden Armut, der Terrorbekämpfung, der militärischen Aufrüstung, der Meinungsunterdrückung und des Nacktscannens der Bürger.

Im Westen und in Deutschland scheinen alle Fortschritte immer mehr nur einem kleinen Geldadel zu nützen, und die Bundesregierung setzt strategisch allein auf das Wohlergehen der großen Banken und der großen Global Player und meint, wenn es nur genügend „Reformen“ zugunsten dieser gäbe, wenn man ihnen im globalen Wettbewerb helfen würde, dann würden auch ausreichend Arbeitsplätze entstehen und es ginge allen im Lande gut, und ansonsten lautet die Regierungsstrategie für Deutschlands Zukunft nur: Sparen, Sparen, Sparen, und die Schulden pünktlichst bezahlen. Und irgendwie bemerkt die Bundesregierung dabei nicht, dass die Verschuldung bei Privatbanken kein zukunftsfähiges Konzept ist, und dass die Banken und großen Firmen in Deutschland keine Arbeitsplätze schaffen sondern diese eher abbauen und meist noch ihre Gewinne ins Ausland verschaffen, anstatt sie in Deutschland zu versteuern.

Andererseits aber bleibt auch zu fragen, ob die Bürger in Deutschland das nicht so wollen, denn letztlich ist die vorhandene Regierung von der Mehrheit der Menschen im Land gewählt worden? Warum wählen die Deutschen nicht Parteien und Politiker mit anderen Zielen, die all das ändern?

Der Artikel 1-2 Die Mord- und Totschlag-Agenturen gibt Aufschluss darüber, warum das so ist und erklärt, wie einflussreiche Organisationen dafür sorgen, dass stets nur die ihnen genehme Politiker in die Regierung kommen und Volksvertreter, die etwas bewirken könnten, ein anderes Schicksal erwartet.

[1] Thorsten Stegemann: Arme Kinder in reichen Ländern, Telepolis, 02.03.2005.
[2] Die EU-Mitgliedsstaaten haben die Grenze bei 60% des mittleren Einkommens definiert, was in Deutschland einem Betrag von 938 € monatlich entspricht. Lebenslagen in Deutschland, 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Anfang 2005.
[3] Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung 2008 und 2009.
[4] Alarmierend hoher Migrantenanteil bei Hartz IV. www.welt.de, 20.2.2010.
[5] Kai Dordowsky: Jetzt soll Berlin handeln – Jedes 4. Kind ist arm. Lübecker Nachrichten Online, 11.02.2006.
[6] Hartz IV: Kein Schulobst aber Rettung der Banken. http://www.gegen-hartz.de/, 11.7.2009.
[7] Interview von Wolfgang Büscher mit Sabine Werth von der gemeinnützigen Organisation „Tafel“, Berliner Morgenpost, morgenpost.berlin1.de, 1.2.2004.
[8] Tafel kritisiert Hartz IV. Lausitzer Rundschau, www.lr-online.de, 01.07.2006.
[9] Gabor Steinhard: Die Wohlstands-Illusion, Spiegel, Nr. 11, 8.3.2004., S. 52 ff.
[10] Holger Schmale: Bildungsrepublik Deutschland? Berliner Zeitung, http://www.berlinonline.de/, 19.6.2009.
[11] Verena Kemna: Der Speck ist schon längst weg, `wir sind am Knochen`, Deutschlandfunk, 22.9.2008. Interview mit dem Präsidenten der FU Berlin.
[12] Thomas Rachel in einer Rede im Deutschen Bundestag am 23.10.2003.
[13] Bezogen auf die „Wirtschaftsleistung“ 2006 sollen es 8,5% und 200 Mrd € sein. Financial Times, 10.10.08.
[14] Chinesischer Ministerpräsident Wen Jiabao: Tätigkeitsbericht der Regierung, 5.3.2010, http.//german.china.org.cn
[15] Wikipedia: Arbeitsmarkt, 10.7.2009.
[16] Der Spiegel, 15/2004, S. 34.
[17] Der CDU-Mann Josef Schlarmann meint, ein Drittel der Bezieher von Sozialhilfe will gar nicht arbeiten und ihre Leistungen sollten gekürzt werden. http://www.welt.de/, 14.10.2009.
[18] Studie des DGB, 12.10.2009.
[19] Ulrich Gineiger: Dr. phil. Obdachlos, Die Zeit, www.zeit.de, 29.06.2006.
[20] Lars Kreye: Vom Leben in öffentlichen Räumen, Scheinschlag, Berliner Stadtzeitung, 3/2004.
[21] Aus einer Annonce einer Berliner Volksbewegung von 35.000 Bürgern und 100 Professoren, die vom Berliner Tagesspiegel abgelehnt wurde, http://www.feldpolitik.de/, 19.02.3004.
[22] Marita Vollborn und Vlad Georgescu: Brennpunkt Deutschland, Lübbe-Verlag, 2007.
[23] Die Welt: Zahl der Mini-Jobs steigt auf 2,5 Mio, 2.3.2004.
[24] rbb-TV: Klipp und klar, 4.3.2004.
[25] Johnny Erling: China garantiert Mindestlöhne und Urlaub. http://www.welt.de/, 16.12.2007.
[26] Ein Gehalt reicht nicht mehr für Familien. ORF Salzburg, 26.1.2010.
[27] Krankenhausgesellschaft bestätigt Studie: Jede vierte Klinik vor dem Aus. www.aerzteblatt.de, 9.2.2006.
[28] Norbert Rost: Geldknappheit im Kapitalismus, telepolis, 16.12.2003.
[29] Meike Hemschemeier: Killerbrut – Die verschwiegene Katastrophe. ARD, 24.8.2009, 21.00h.
[30] So der Chirurg Jochen Kuberka nach 15 Jahren in Wuppertal, taz,11/12.10.2003, Titelgeschichte.
[31] Frank Seidlitz: Ärzten droht Pleite-Rekord. Die Welt.de, 20.12.2005.
[32] 14.000 Brücken in schlechtem Zustand, Netzzeitung.de, 22.10.2003.
[33] Jens Tartler: Autofahrer können sich abgezockt fühlen. Financial Times Deutschland, 24.1.2010.
[34] Chinesischer Ministerpräsident Wen Jiabao: Tätigkeitsbericht der Regierung, 5.3.2010, http.//german.china.org.cn
[35] Professor Dieter Döring: Alte leben nicht auf Kosten Jüngerer. http://www.taz.de/, 11.11.2009.
[36] Preußische Allgemeine Zeitung, 37, 13.9.2003, S. 8.
[37] FOCUS Nr. 32, 2003.
[38] Andrea Mocellin und Ulrich Hagmann: Die Altersarmut deutscher Rentner. http://www.br-online.de/, 08.12.2008.
[39] Hamburger Abendblatt: Mehr private Insolvenzen. 10.1.2006.
[40] Evelyn Binder: Immer mehr Deutsche völlig bankrott. Kölner Stadt-Anzeiger, 9.11.2007.
[41] Winfried Wolf: Global Player, http://www.jungewelt.de/, 16.4.2004.

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