Der Einsatz von Cannabis in der Medizin ist mit grossen bürokratischen Hürden verbunden.
Schwerkranke sollen Cannabis als Medizin einfacher beziehen können, denn es beruhigt und lindert Schmerzen. Das verlangt die Schweizer Patientenorganisation.
Immer mehr Untersuchungen belegen es: Cannabis lindert vielfältige Beschwerden, vor allem Schmerzen und Spastiken. Die berauschende Substanz THC spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Entsprechende Medikamente sind vorhanden, doch nur wenige Schwerkranke können davon profitieren, zum Beispiel Krebs- und Multiple-Sklerose-Patienten.
Der Grund: Die Bürokratie erschwert den Zugang zu den Präparaten massiv. Schwerkranke Patienten müssen heute mit Hilfe ihres Arztes beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Sonderbewilligung beantragen, sofern die Krankheit ihre Lebensqualität schwer beeinträchtigt, andere Therapien keinen Erfolg gebracht haben und die Verbesserung durch THC wissenschaftlich belegt ist. Das alles muss der Arzt in Formularen gegenüber dem Amt versichern. Starke Schmerzmittel dagegen kann er in eigener Kompetenz verschreiben.
Sollen Patienten selber Hanf anbauen?
Die aufwendige Herstellung von Cannabisprodukten in Medizinalqualität, also ohne grössere Wirkstoffschwankungen, verteuert zudem die Medizin. Das seit einigen Jahren verschriebene Dronabinol oder das seit Mai erhältliche Sativex, ein Mundspray, kostet den Patienten zwischen fünf und 20 Franken pro Tag. Etwas günstiger ist eine Cannabistinktur, die ebenfalls eine BAG-Erlaubnis erfordert. Beim neuen Sativex ist das zwar nicht nötig, es darf aber nur an MS-Patienten verschrieben werden.
Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizer Patientenorganisation, kritisiert die restriktive Praxis: «Sie erschwert den Zugang zu einer günstigen und wirksamen Medizin.» Als Nationalrätin der Grünliberalen hat sie eine Interpellation eingereicht, die den Bundesrat auffordert, nach unbürokratischen und kostengünstigeren Lösungen zu suchen. «Das BAG könnte zum Beispiel einen Cannabisproduzenten beauftragen, eine für medizinische Zwecke geeignete Sorte zu züchten, die erleichtert verschrieben werden kann.» Kessler kann sich auch eine Teilliberalisierung des Eigenanbaus für Patienten vorstellen.
Heute erhalten wöchentlich rund zehn Patienten eine Bewilligung – Tendenz steigend, wie BAG-Sprecherin Mona Neidhart bestätigt. Insgesamt würden 400 bis 500 Personen mit dem teuren Dronabinol oder einer Cannabistinktur behandelt.
Der Emmentaler Apotheker Manfred Fankhauser hat die Erlaubnis, Dronabinol und Cannabistinkturen herzustellen. Weniger Bürokratie würde er begrüssen. «Ärzte sollten in eigener Kompetenz entscheiden, ob solche Produkte geeignet sind. Das ist ja auch bei Medikamenten mit viel schwerwiegenderen Nebenwirkungen so.»
Bei einer Teilliberalisierung sieht er dagegen Kontrollprobleme für die Behörden. «Es wäre sinnvoller, Cannabis in Kleinmengen gleich grundsätzlich zu entkriminalisieren.» Neu wäre das nicht. Bis 1951 war das Kraut als Heilmittel in jeder Schweizer Apotheke erhältlich.
«Dass Cannabis aggressiv macht, ist Unsinn»
Kiffer stehen nicht gerade im Ruf, aggressive Energiebündel zu sein. Sie gelten gemeinhin als friedlich, zuweilen lethargisch. Der Strafrechtler Martin Killias sieht das anders. Er behauptete unlängst im «St. Galler Tagblatt», in der Schweiz herrsche eine so grosse Jugendkriminalität, weil so viel Cannabis konsumiert werde. Denn Kiffen, so Killias, gehe ganz klar mit mehr Gewalt einher. Dabei beruft sich der Strafrechtler auf eine Metastudie von 2012, bei der er mitgewirkt hat. Die Studie belegt allerdings keine Kausalität, sondern stellt lediglich eine Korrelation her: Ob Kiffen an sich aggressiv macht oder ob Straffällige einfach oft kiffen, bleibt offen.
Fachleute reagieren irritiert: «Das ist Unsinn», sagt etwa Jürg Niggli, Leiter der Stiftung Suchthilfe St. Gallen. «Selbst übermässiger Cannabiskonsum beruhigt im Normalfall.» Urs Rohr, Suchtexperte von der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich, sieht das gleich: «Die Aussage, dass die Substanz Cannabis gewalttätig macht, widerspricht jeglicher Erfahrung aus der Praxis.» Wahr ist einzig, dass Cannabiskonsum in seltenen Fällen einen psychotischen Schub auslösen und in der Folge aggressiv machen kann.
Es ist nicht das erste Mal, dass dem Kraut Böses unterstellt wird. Allerdings werden ihm je nach politischer Absicht unterschiedliche Wirkungen zugeschrieben. Im – von kirchlichen Kreisen finanzierten – Aufklärungsfilm «Reefer Madness» von 1936 verfallen brave Jugendliche nach dem Cannabiskonsum dem Wahnsinn, vergewaltigen und bringen sich um. Im kalten Krieg wiederum behaupteten die USA, die Kommunisten würden Cannabis einsetzen, um die Amerikaner träge und friedliebend zu machen.
Text: Andrea Haefely und Peter Johannes Meier
Bild: Thinkstock Kollektion