Kapitel 25
Die Zionistische Weltorganisation
Wenn der reine Zufall immer wieder Männer vom Schlage eines Karl Marx und eines Theodor Herzl hervorbringt, und zwar in einer Zeit, wo ihre Theorien verheerende Folgen zeitigen können, die in keinem Verhältnis zur Bedeutung dieser Männer stehen, dann hat der Zufall der Verschwörung im 19. Jahrhundert kräftig unter die Arme gegriffen. Bedeutend wahrscheinlicher ist freilich, dass die Entwicklung von Hintergrundmächten gesteuert wurde, welche Marx und Herzl zu ihren Werkzeugen erkoren oder zumindest als solche benutzten. Bei Herzl stimmt die Kürze seiner Karriere besonders nachdenklich; er erschien und verschwand wie eine Sternschnuppe am Firmament. Die entwürdigende Art, auf die er abgehalftert wurde, und sein jähes Hinscheiden im Alter von erst vierundvierzig Jahren deuten darauf hin, dass auch in seinem Fall das berühmte Motto galt: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen.“
Wer Wien und die dort herrschende Atmosphäre in unserem Jahrhundert gekannt hat, kann Herzl und die Auswirkungen seines Schaffens verstehen. Eine im Niedergang begriffene Monarchie, ein morsch gewordener Adel, eine jüdische Klasse, die sich über Nacht zu einer furchterregend mächtigen politischen Kraft mauserte – all dies beeindruckte die jüdischen Massen ungemein. Was auf der Welt von sich ging, erfuhren sie jetzt von Dr. Herzl und nicht wie früher aus der Neuen Freien Presse, und Dr. Herzl war es, der den Politikern Anweisungen erteilte. Wenn er in einem Café auftauchte, eilten dienstbeflissene Kellner herbei, um den Herrn Doktor zu bedienen, was seinem Selbstbewusstsein äußerst gut getan haben muss. Dass dieser von einem Tag auf den anderen berühmt gewordene Mann der Herold des Zionismus war, versetzte die Westjuden in ehrfürchtiges Staunen und bewog sie dazu, in sich zu gehen: Wenn Dr. Herzl gegenüber den Großmächten Forderungen erheben konnte, bedeutete dies womöglich, dass er im Recht war und der von Napoleon einberufene Sanhedrin unrecht gehabt hatte! Wurden die politischen Entscheide letzten Endes gar nicht auf dem Ballhausplatz, sondern in Dr. Herzls Büro gefällt?
Hätte ein russischer Jude ein Buch mit dem Titel Der Judenstaat geschrieben oder versucht, eine zionistische Weltorganisation aus der Taufe zu heben, so hätten die westlichen Juden dem keine große Bedeutung beigemessen. Schließlich fürchteten sie sich vor der Verschwörung aus dem Osten und ahnten wohl dumpf, welche Ziele diese verfolgte. Doch wenn Dr. Herzl, ein voll emanzipierter Jude aus der Donaumonarchie, die Ansicht vertrat, die Juden müssten sich wieder von ihrer Umwelt absondern, musste man das ja wirklich ernst nehmen!
Herzl behauptete, der Fall Dreyfus habe ihn von der Realität des „Antisemitismus“ überzeugt: „Der Dreyfus-Prozess hat mich zum Zionisten gemacht.“ Dies war freilich eine an den Haaren herbeigezogene Begründung, denn wenn der Dreyfus-Prozess etwas bewiesen hatte, dann die Realität der jüdischen Emanzipation und die Unparteilichkeit der Justiz. Nie zuvor war ein Mann von so vielen öffentlich verteidigt und so vollständig rehabilitiert worden. Heute besitzen die Bürger ganzer Nationen östlich von Berlin kein Recht auf faire Prozesse, und dem Westen, der sie ihren Unterdrückern ausgeliefert hat, ist ihr Geschick herzlich gleichgültig; sie können ohne Anklage und ohne Prozess eingesperrt oder umgebracht werden. Hingegen wird der Dreyfus-Prozess, das Musterbeispiel eines rechtsstaatlichen Verfahrens, von der Propaganda im Westen bis zum heutigen Tage als klassisches Beispiel von Willkürjustiz dargestellt. Hätte das Schicksal des Zionismus vom Ausgang des Dreyfus-Prozesses abgehangen, so hätte er nach der Rehabilitierung des jüdischen Hauptmanns sogleich verschwinden müssen!
Dies alles hinderte Dr. Herzl nicht daran, „einen Teil des Erdballs“ zu verlangen, „der groß genug ist, um die rechtmäßigen Ansprüche einer Nation zu befriedigen“. Allerdings forderte er kein spezifisches Territorium und sprach nicht von Palästina. Zum ersten Mal gab die Idee zur Gründung eines jüdischen Staates unter den Westjuden Anstoß zu lebhaften Diskussionen. [9] Der Londoner Jewish Chronicle rühmte das Projekt als „einen der kühnsten Vorschläge, die je vorgelegt worden sind“. Durch diese positiven Reaktionen ermutigt, begab sich Herzl nach London, wo damals die mächtigsten Männer der Welt residierten, um für seinen Plan die Werbetrommel zu rühren. Nach mehreren erfolgreichen Unterredungen im Londoner East End beschloss er, einen jüdischen Kongress einzuberufen, der dem Projekt seine Unterstützung bekunden sollte.
Gesagt, getan. Im März 1897 erhielten jüdische Gemeinden „überall auf der Welt“ die Einladung, Delegierte zu einem „zionistischen Kongress“ zu entsenden, einer Art „Gegen-Sanhedrin“, der im August desselben Jahres in München stattfinden sollte. Die meisten Westjuden reagierten mit schroffer Ablehnung. Die deutschen Rabbiner und die Münchner Juden protestierten, so dass der Kongress ins schweizerische Basel verlegt wurde. Die amerikanischen Reformjuden hatten zwei Jahre zuvor erklärt, sie erwarteten „weder eine Rückkehr nach Palästina... noch die Wiederinkraftsetzung irgendeines jener Gesetze, welche den jüdischen Staat betreffen“. (Höchst aufschlussreich ist folgende Episode: Als der amerikanische Rabbiner Stephen Wise 1899, also zwei Jahre nach dem Basler Kongress, der Gesellschaft Jüdischer Publizisten Amerikas die Veröffentlichung eines Buchs über den Zionismus vorschlug, antwortete deren Sekretär: „Die Gesellschaft kann das Risiko nicht eingehen, ein Buch über den Zionismus zu publizieren.“)
Von den 197 Delegierten, die sich zu Herzls Kongress einfanden, kamen die meisten aus Osteuropa. Diese Männer gründeten eine „Zionistische Weltorganisation“, welche die Juden zur Nation erklärte und für sie eine „öffentlich gesicherte, rechtlich garantierte“ Heimstatt forderte. „Der Judenstaat existiert“, proklamierte Herzl. Tatsache war und blieb jedoch, dass eine geringe Anzahl von Juden, die sich anmaßten, für das gesamte Judentum zu sprechen, in Basel einen Kongress durchgeführt hatten, mehr nicht.
Immerhin, das Projekt zur Gründung eines Judenstaates war zum internationalen Gesprächsthema geworden. De facto war der Basler Zionistenkongress ein Sanhedrin gewesen, der einberufen worden war, um die vom Sanhedrin des Jahres 1806 abgegebenen Versprechungen aufzuheben. Jener Sanhedrin hatte die Vorstellung, die Juden bildeten eine eigene Nation, ebenso verworfen wie den Anspruch auf die Errichtung eines jüdischen Staates, doch die Teilnehmer am Basler Kongress bekannten sich zum einen ebenso wie zum anderen. Fünfzig Jahre später schrieb Rabbiner Elmer Berger: „Der Keil des jüdischen Nationalismus wurde zwischen die Juden und den Rest der Menschheit getrieben. Es wurde die Idee des Ghettos verewigt, in dem die Juden der nicht emanzipierten Nationen auch weiterhin leben sollten, damit der Prozess der Emanzipation und Integration nicht auf sie übergriff.“
Der Sanhedrin von 1806 hatte eine grundlegende Schwäche aufgewiesen, der sich Napoleon wahrscheinlich nicht bewusst gewesen war: Er vertrat lediglich die Westjuden. Napoleon wird kaum geahnt haben, welche Macht die kompakten, von ihren talmudistischen Herrschern straff kontrollierten jüdischen Massen des Ostens verkörperten. Selbst Dr. Herzl, der es besser hätte wissen müssen, entdeckte erst beim Basler Kongress, bei dem er mit der geschlossenen Unterstützung aller Juden gerechnet hatte, wie mächtig das Ostjudentum war. „Vor unseren Augen erhob sich ein russisches Judentum, dessen Stärke wir nicht einmal geahnt hatten“, berichtete er. „Siebzig unserer Delegierten kamen aus Russland, und es war uns allen klar, dass sie die Ansichten und Gefühle der fünf Millionen Juden jenes Landes verkörperten. Was für eine Demütigung für uns, die wir unsere Überlegenheit als selbstverständlich vorausgesetzt hatten!“
Dr. Herzl stand seinen Herren und der Verschwörung, die durch ihn Einzug in den Westen hielt, von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er hatte der Emanzipation den Krieg erklärt und hierdurch wie viele seiner Nachfolger Kräfte freigesetzt, die er nicht einzuschätzen vermochte. Schon bald wurde er nicht mehr gebraucht; er war der Trompeter gewesen, dem die Aufgabe oblag, die Westjuden wachzurütteln, und nachdem er diese Aufgabe erfüllt hatte, übernahmen die wirklichen „Manager“ die Regie. Dr. Herzl hatte das Werkzeug geschmiedet, dessen sie sich bei ihrem Sturmangriff auf den Westen bedienen sollten. Dies hat Dr. Weizmann, der die Führung der zionistischen Bewegung schon bald übernahm, klar erkannt: „Dr. Herzls dauerhafter Beitrag zum Zionismus bestand darin, dass er für ihn eine einheitliche, zentrale parlamentarische Exekutive begründete... Zum ersten Mal in der Geschichte des jüdischen Exils hatte eine große Regierung offiziell mit den gewählten Vertretern des jüdischen Volkes verhandelt. Die Identität, die rechtliche Persönlichkeit des jüdischen Volkes war wiederhergestellt worden.“
Vermutlich lächelte Dr. Weizmann verschmitzt vor sich hin, als er die Wörter „parlamentarisch“ und „gewählt“ niederschrieb. Was zwischen diesen Wörtern steht, ist allerdings ungeheuer wichtig: Die Delegierten, die sich gegen den Willen der großen Mehrheit der Westjuden in Basel trafen, sowie die von ihnen verabschiedeten Erklärungen konnten nur zu einem gewichtigen politischen Faktor werden, wenn sie von einer Großmacht anerkannt wurden. Dies schien ein Ding der Unmöglichkeit, doch das Unmögliche wurde schon wenige Jahre später möglich, als die britische Regierung Dr. Herzl Uganda als jüdische Heimstatt anbot. Auf dieses Ereignis spielt Dr. Weizmann in dem zitierten Abschnitt an. Von jenem Augenblick an erkannten sämtliche westlichen Mächte die russischen Talmudisten als Repräsentanten aller Juden an, und die zionistische Bewegung schlug auch im Westen feste Wurzeln.
Somit endete das Jahrhundert der Emanzipation, das mit der hoffnungsvollen Erwartung begonnen hatte, die Juden würden endlich der Menschheit beitreten. Unmittelbar vor dem Basler Zionistenkongress schrieb Houston Stewart Chamberlain einige Sätze, deren bittere Realität sich alsbald bestätigte. Chamberlain zitierte zunächst einen Ausspruch, den Johann Gottfried Herder ein Jahrhundert zuvor getan hatte: „Die roheren Nationen Europas sind willige Sklaven des jüdischen Wuchers“, und fuhr dann fort: „Die Dinge haben sich grundlegend verändert... Heute könnte Herder dasselbe vom weitaus grössten Teil unserer zivilisierten Welt sagen... Der direkte Einfluss des Judentums auf das 19. Jahrhundert ist zu einem brennenden Tagesthema geworden. Wir haben es hier mit einer Frage zu tun, die nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft der Welt betrifft.“
Mit der Gründung der Zionistischen Weltorganisation, die von den großen westlichen Regierungen de facto als höhere Autorität anerkannt wurde, begann das „brennende Tagesthema“ den Gang der Ereignisse immer stärker zu prägen. Dass es in der Tat „die Zukunft der Welt betrifft“, kann man im Jahre 1956, wo wir das vorliegende Buch abschließen, klar und deutlich erkennen: Zu Beginn dieses Jahres stellten die Führer der beiden übrig gebliebenen westlichen Großmächte, Großbritanniens und der USA, mit schmerzlichem Erstaunen fest, dass der nächste Weltkrieg jederzeit dort ausbrechen kann, wo sie den „Judenstaat“ gegründet hatten, und entfachten hüben und drüben des Atlantiks hektische Aktivitäten, um diese Katastrophe irgendwie zu verhüten.
9. Unter den Nichtjuden machte sich damals kaum jemand über dieses Problem Gedanken. 1841 hatte ein Oberst Churchill, britischer Konsul in Smyrna, bei einer Konferenz zentraleuropäischer Staaten, die zur Klärung der Zukunft Syriens einberufen worden war, die Gründung eines Judenstaates in Palästinas angeregt, doch allem Anschein nach blieb dieser Vorschlag unbeachtet. (Zurück)