Bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 starben nicht nur mehr als 3.000 Menschen – noch immer haben Tausende mit den Spätfolgen der Katastrophe zu kämpfen: Psychische Probleme, Asthma und sogar Krebs. Die Politik reagierte darauf jedoch erst spät.
Ihr Foto ging um die Welt: Eine Frau, von oben bis unten mit Staub bedeckt, fassungslos starrt sie in die Kamera. Als am 11. September 2001 der erste Turm des World Trade Centers in New York einstürzte, rannte Marcy Borders gerade aus dem zweiten Gebäude. Eine Welle aus Staub und Schutt brach über die Sekretärin herein. Nur kurze Zeit später fiel auch der zweite Turm in sich zusammen – Borders war dem Tod damals nur um Minuten entkommen.
Doch nun ist Borders im Alter von 42 Jahren an Magenkrebs gestorben. 15 Jahre nach der Katastrophe am Ground Zero, machte die Amerikanerin den Staub für ihre Erkrankung verantwortlich. Nie zuvor sei sie krank, ihre medizinischen Werte nie auffällig gewesen, erklärte Borders der "Daily Mail", nachdem der Krebs im August 2014 diagnostiziert wurde.
Ihre Krankheit verdeutlicht die Spätfolgen von 9/11. Während die Jahre nach dem Terrorangriff meist mit einem aussichtslosen Krieg in Afghanistan und dem Tod unzähliger Menschen verbunden waren, ging der Blick auf die Menschen im eigenen Land allzu leicht verloren. Dabei ist Marcy Borders Schicksal kein Einzelfall – tausende Amerikaner leiden noch heute unter den Auswirkungen des 11. Septembers.
Bereits mehr als 2.500 Helfer an Krebs erkrankt
Die "New York Post" berichtete im vergangenen Jahr, dass inzwischen mehr als 2.500 Einsatzkräfte und Helfer an Krebs erkrankt seien. "Ich wusste an diesem Tag, dass viele von uns krank werden würden", sagte ein Feuerwehrmann, der heute an einem inoperablen Tumor leidet. Seine Geschichte ist auch die vieler Polizisten oder Sanitäter: Am Tag der Katastrophe zögerte keiner von ihnen zu helfen, doch nun werden sie mitunter ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben.
Dreimal hat das "WTC Health Registry" bereits den Gesundheitszustand von rund 70.000 Menschen erhoben, die vom Einsturz der Zwillingstürme betroffen waren. Insgesamt sollen mehr als 400.000 Helfer, Anwohner und Angestellte den Auswirkungen des Anschlags ausgesetzt gewesen sein. Die Untersuchungen zeigen, dass Betroffene häufiger als der Durchschnitt an Krebs erkranken – und dies betrifft alle Arten von Krebs.
Toxische Stoffe setzen sich in der Lunge ab
Auch eine Studie, die zehn Jahre nach 9/11 im medizinischen Fachjournal "The Lancet" veröffentlicht wurde, kam zu einem erschreckenden Ergebnis: Das Risiko einer Krebserkrankung ist für Feuerwehrmänner, die am Ground Zero im Einsatz waren, 19 Prozent höher als bei ihren Kollegen. "Die Verbindung zwischen dem World-Trade-Center-Einsatz und Krebs ist biologisch plausibel", urteilte das Forscherteam.
Obwohl viele Helfer einen Mund- oder Atemschutz trugen, konnte der toxische Staub in ihre Lungen gelangen – der Hauptgrund für spätere Erkrankungen. Denn beim Bau des World Trade Centers wurden auch schädliche Stoffe verwendet. Aufgrund der Wucht des Einsturzes verbreiteten sich Asbest, Benzol, Aluminium und Dioxine als feinste Staubpartikel und konnten so in die menschlichen Atemwege eindringen. Schon kurz nach dem Einsatz klagten viele Helfer deshalb über Husten, Hals- und Kopfschmerzen oder sogar Atemnot – der Beginn des berüchtigten "WTC-Hustens".
Weitere Diagnosen: Asthma und psychischen Probleme
Dabei ist Krebs nicht die einzige gesundheitliche Folge. Asthma ist ein anderes Problem, das viele New Yorker seit mehr als einem Jahrzehnt quält. Bereits 2011 fanden Forscher des Mount Sinai Krankenhauses in New York heraus, dass 28 Prozent der Helfer unter Asthma litten, 42 Prozent unter einer chronischen Entzündung der Nasennebenhöhlen und 39 Prozent unter einer chronischen Entzündung der Speiseröhre. "Eine solche Belastung haben wir noch nie gesehen. Nirgendwo auf der Welt. In einer so hohen Konzentration", zitiert "tagesschau.de" Professor Roberto Luccini von der Klinik. Bereits in den ersten 16 Monaten nach 9/11 verzeichnete das "WTC Health Registry" zehn Prozent mehr Asthma-Diagnosen.
Neben dem Körper aber hat auch die Psyche vieler Menschen Schaden genommen. Wissenschaftler hatten ermittelt, dass etwa ein Drittel aller Helfer unter PTBSC (Posttraumatische Belastungsstörung) leidet. Bei einer PTBS durchleben Patienten die Ereignisse durch Tagträume, Erinnerungen oder Flashbacks immer wieder. Sie fühlen dabei ausserstande, die Situation zu bewältigen, verspüren Angst und Kontrollverlust.
Jahrelang wurde um Hilfe für Opfer gerungen
Obwohl viele der Auswirkungen schon früh erkannt wurden, brauchte die Politik fast zehn Jahre, um Geschädigte endlich ausreichend zu unterstützen. Anfang 2011 unterzeichnete Präsident Barack Obama ein entsprechendes Gesetz, das dem "World Trade Center Health Program" rund 4,2 Milliarden Dollar zusprach. Immer wieder waren zuvor verschiedene Initiativen gescheitert
Auch Marcy Borders konnte nicht mit ihren Ängsten und Sorgen umgehen, ertränkte sie in Alkohol. "Ich bekam mein Leben nicht in den Griff und begann Drogen zu nehmen", erzählte sie einmal. 2011 machte sie schliesslich eine Therapie, blieb danach trocken und clean. Der 11. September aber habe sie bis zu ihrem Tod verfolgt, schrieb ihr Cousin John Borders: "Marcy erlag den Krankheiten, die ihren Körper seit 9/11 geplagt hatten."