DAS PLÄDOYER JÜRG STEHRENBERGERS

G. Försters Anwalt Jürg Stehrenberger sprach etwa eine halbe Stunde. In seinem extrem schnell und temperamentvoll vorgetragenen Plädoyer forderte er Freispruch für seinen Mandanten. Er hob zu Beginn hervor, dass bereits die Diskussion der Aussagen von Prozessbeteiligten die Gefahr berge, selbst mit der Rechtsordnung in Konflikt zu geraten, womit seinem Mandanten das Grundrecht der Verteidigung verwehrt sei.

Das Gericht habe nicht zu beurteilen, was vor 50 Jahren geschehen sei, sondern was man heute schreiben dürfe. Artikel 261bis stehe im Widerspruch zu Verfassungsrechten wie der Meinungsäusserungsfreiheit, der Wissenschaftsfreiheit und der Pressefreiheit.

Strafbar sei laut Art 1 des Strafgesetzbuchs nur, wer eine ausdrücklich mit Strafe bedrohte Tat begehe. Dass der Gesetzestext unglücklich und vage formuliert sei, werde in der einschlägigen Literatur, namentlich im Kommentar Prof. Marcel Nigglis, offen eingeräumt. Im Zweifelsfall sei für den Angeklagten zu entscheiden.

Der Gesetzestext erforderte eine "systematische Herabsetzung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion". Eine solche sei aber in den beanstandeten Büchern keinesfalls zu erkennen.

Im Gesetzestext sei vom "Leugnen" des Völkermordes die Rede. "Leugnen" bedeute aber "wider besseres Wissen bestreiten". Das Bestreiten eines Völkermordes aus subjektiver Überzeugung müsse deshalb straflos bleiben, wie Stratenwerth in seinem von Niggli zitierten Kommentar heraus hervorhebe. [Stratenwerth spricht von "Borniertheit" oder "Eifer"].

Der Begriff der "gröblichen Verharmlosung" werfe weitere schwerwiegende Fragen auf. Im Kommentar Nigglis heisst es, menschliches Leid könne nicht gemessen werden, und deshalb sei für die Qualifikation eines Verbrechens als Völkermord die Zahl der Opfer grundsätzlich irrelevant. Bevor man etwas verharmlosen könne, müsse man zunächst wissen, was geschehen sei. Wer aber die Zahl der Holocaust-Opfer niedriger ansetze als manche Interessensgruppe sie ansetzt, werde bestraft! Dies sei ein Widerspruch in sich. Jean-Claude Pressac, der in "Die Krematorien von Auschwitz", Piper 1994, die Zahl der Auschwitz-Opfer mit 631’000 beziffert, müsste demgemäss in der Schweiz angeklagt werden.

Es bestehe angesichts der in den USA gegen die Schweiz seitens jüdischer Organisationen erhobenen Sammelklagen (sog. "class actions" von insgesamt über 40 Milliarden Franken) ein immenses Interesse daran, was die offizielle Schweiz im 2. Weltkrieg über das Los der Juden gewusst habe. So müsse beispielsweise geklärt werden, wie es möglich war, dass der IKRK-Delegierte Rossel, der das Konzentrationslager Auschwitz am 29. September 1944 mit weiteren Mitarbeitern besuchte, in seinem Bericht (zitiert in "Documents sur l’activité du Comité international de la Croix Rouge en faveur des civils détenus dans les camps de concentration en Allemagne", Genf 1947), schreiben konnte, er habe keine Bestätigung der Gerüchte über Menschenvergasungen gefunden, und die befragten Häftlinge hätten nicht von solchen gesprochen. Der Besuch habe, dies sei wiederholt, im SEPTEMBER 1944 stattgefunden!

Dass Graf in "Auschwitz. Tätergeständnisse..." die Aussagen der Zeugen falsch zitiert oder übersetzt habe, behaupte kein Mensch, auch der Staatsanwalt nicht. Dass die von Förster im Oktober 1994 mit einem Exemplar des Buchs bediente Bundesanwaltschaft auf die Zusendung trotz mehrerer Nachfragen nicht reagiert und sich ein halbes Jahr später als unzuständig für die Beantwortung der Frage nach der Legalität bzw. Illegalität dieses Buchs erklärt habe, sei unbegreiflich; jedenfalls belege es, dass die Bundesanwaltschaft das Werk nicht als von vornherein ARG-verletzend eingestuft habe. Der Staatsanwalt tue das Buch pauschal und ohne Begründung als "pseudowissenschaftlich" ab, was unzulässig sei. In "Todesursache Zeitgeschichtsforschung" verweise die fiktive Schulklasse auf unzählige Werke der historischen Literatur, wobei die Quellen stets eindeutig angegeben seien. Das Einbetten dieser Verweise in eine literarisch erfundene Projektwoche zum Thema Zeitgeschichte sei nichts Anrüchiges.

Der Angeklagte Förster sei durch die pausenlose Medienhetze bereits vorverurteilt. Obgleich er nur sechs Wochen lang im Range eines Wehrmacht-Gefreiten an der Front gedient habe, sei er in der Presse zum SS-Offizier befördert worden und werde pausenlos als "Nazi" beschimpft. Wegen seiner deutschen Herkunft werde er von selbsternannten Antirassisten als Freiwild betrachtet, was natürlich Rassismus in Reinkultur darstelle. "Merin Mandant muss deshalb freigesprochen werden."

DAS PLÄDOYER DR. URS OSWALDS

Dr. Urs Oswald, Pflichtverteidiger des Angeklagten Jürgen Graf, sprach über eine Stunde. Er griff Staatsanwalt Aufdenblatten scharf an; diesen respektiere er als Mensch, und er anerkenne seine Kompetenz, doch sei die Anklageschrift liederlich ausgefertigt und völlig unhaltbar.

Die vor Inkrafttreten des ARG verfassten Bücher hätten nach dem Prinzip "Nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz) schon gar nicht erst Gegenstand einer Anklage bilden dürfen, weshalb er es sich schenke, auf den Inhalt einzugehen. "Auschwitz. Tätergeständnisse..." sei unbestrittenermassen im Mai 1994 fertiggeschrieben und im August desselben Jahres publiziert worden. Dass Graf das Buch selbst vertrieben habe, behaupte kein Mensch. Die Begründung des Staatsanwalts, Graf habe dem Verlag die weitere Verbreitung ab dem 1. Januar 1995 nicht verboten und sich ausdrücklich mit dieser einverstanden erklärt, sei kläglich und widerspreche allen rechtlichen Gepflogenheiten.

Dass Graf seine beiden ersten Bücher nach Inkrafttreten des ARG weiter verkauft habe, sei gleichfalls nicht strafbar, weil nämlich hier der im Gesetzestext vorgeschriebene Tatbestand der Öffentlichkeit fehle. Graf habe keine Werbung für diese zwei Bücher gemacht und sie auch keinen Bibliotheken etc. zugestellt, wo sie für jedermann einsichtbar gewesen wären, sondern lediglich Bestellern zugeschickt. Wie könne man da von Öffentlichkeit sprechen? Laut gängiger juristischer Praxis gelte nicht einmal ein geschlossener Freundeskreis als öffentlich, viel weniger eine einzelne Person.

Es lägen keine Beweise dafür vor, dass Graf "Todesursache Zeitgeschichtsforschung" nach dem 1.1.95 verfasst habe. [Hier beging Dr. Oswald einen Irrtum, den Graf später berichtigte]. Die Broschüre "Vom Untergang der Schweizerischen Freiheit" sei zwar unbestrittenermassen nach Inkrafttreten des Artikels 261bis entstanden, doch handle es sich bei den inkriminierten Passagen, in denen der Autor sein Auschwitz-Buch zusammenfasst, um eine Selbstverteidigung. Hätte er zum damaligen Zeitpunkt einen Pflichtverteidiger zuerteilt erhalten, hätte er die Broschüre wohl nicht verfasst.

Dass Graf zugestandenermassen Disketten an Ernst Zündel in Kanada und Ahmed Rami in Schweden gesandt habe, welche die Texte dann auf Internet übernahmen, sei kein Strafbestand, da der "Tatort" in diesem Falle nicht die Schweiz sei. Die Einspeicherung der Texte ins Internet sei in Kanada, den USA und Schweden erfolgt, wo es keine Gesetze gegen den Revisionismus gebe. Da jeder Internet-Text in jedem Land der Welt abrufbar sei, müsste ansonsten jeder beliebige Text den Gesetzen jedes beliebigen Landes konform sein. Zu den rechtlichen Aspekten des Internet sei kürzlich eine umfangreiche, von einer Juristin namens Widmer verfasste Studie entstanden, die dem Staatsanwalt seinerzeit freilich nicht zur Verfügung gestanden habe. Aus dieser Studie gehe klar hervor, dass nur der Provider für die von ihm eingegebenen Texte verantwortlich sei. Im Fall Graf befänden sich die Provider aber im Ausland.

Der Vorwurf der Nötigung sei haltlos, denn es sei keine Nötigung, Historiker um die Meldung von Fehlern zu bitten. Den Historikern sei durch die später erfolgte Veröffentlichung des Artikels kein Schaden entstanden, und die Drohung mit dem Zufügen von Schaden sei das Kennzeichen der Nötigung [Anmerkung: In diesem Punkt wurde Graf erstinstanzlich freigesprochen].

Die Ehrverletzungsklage sei zivilrechtlicher Art und gehöre eigentlich gar nicht in diesen Prozess. Zudem hätten Prof. Stegemann und sein Anwalt den Termin verpasst, und die Klage sei verjährt. Auch in diesem Punkt sei Graf also freizusprechen.

Grafs Motiv sei nicht die Herabsetzung der Juden, sondern die Suche nach der Wahrheit. Der Staatsanwalt behaupte das Gegenteil, ohne aber den Beweis antreten zu können. Er habe sich nicht im geringsten bemüht, den Vorwurf der "Pseudowissenschaftlichkeit" irgendwie zu begründen.

Graf sei in allen Punkten freizusprechen.

Ebenso wie das Plädoyer Stehrenberger wurde auch dasjenige Dr. Oswalds von der den Angeklagten wohlgesonnenen Mehrheit im Saal mit grosser Genugtuung aufgenommen. Beide Anwälte sind im Interesse ihrer Mandanten so weit gegangen, wie sie es ohne Gefährdung ihrer eigenen Stellung tun konnten. Beide haben echtes Engagement an den Tag gelegt. Dies war bei früheren ARG-Prozessen leider durchaus nicht immer der Fall.