Chalid Arouri ist einer von 28'000 Palästinensern, die täglich nach Israel zur Arbeit gehen. Das stundenlange Warten an den Checkpoints ist eine tägliche Qual.


Ein Käfig als Warteschleuse: Eine Bank zum Sitzen gibt es nicht, das Warten kann Stunden dauern
(Bethlehem). Bild: Keystone

«Wir warten hier wie Tiere», schimpft Chalid Arouri und schmeisst seine Zigarette wütend gegen die übermächtig wirkende, acht Meter hohe Grenzmauer. Es ist gerade fünf Uhr früh und über Bethlehem geht die Sonne auf. Der 43-jährige Palästinenser aus dem Westjordanland hat es eilig.


Männer am Checkpoint in Bethlehem. (Bild: Keystone)

Sein Job in Jerusalem beginnt in weniger als drei Stunden und er darf auf keinen Fall zu spät erscheinen. Doch die Menschenschlange vor ihm kommt einfach nicht in Bewegung. Am Checkpoint 300 zwischen Bethlehem und Jerusalem gehört das Warten zum Alltag. Der Grenzübergang ist Teil der 2003 von Israel errichteten Sperranlage.

Jeden Tag kommen nach Angaben des israelischen Aussenministeriums 28'000 Palästinenser aus dem Westjordanland nach Israel zur Arbeit. Allein in Bethlehem passieren 3000 Gastarbeiter täglich die strengen Sicherheitskontrollen. «Wie lange es dauert, hängt meist von der Laune der Soldaten ab. Manchmal geht es in einer Stunde und manchmal braucht man sechs», sagt Arouri.

Mitten in der Nacht

Um ihn herum liegen mehr als hundert Männer mit müden Augen auf Pappkartons und versuchen, noch ein wenig Schlaf zu finden. Wie er sind sie an diesem Morgen schon mitten in der Nacht an der Mauer eingetroffen - um die Ersten zu sein, wenn der Checkpoint um fünf Uhr öffnet. «Je früher, desto besser. Wegen des Checkpoints bin ich schon ein paar Mal zu spät zur Arbeit gekommen», erzählt Arouri. «Aber für meinen Chef ist das keine Entschuldigung. Wenn es noch einmal passiert, schickt er mich gleich wieder zurück, und ich darf gar nicht mehr kommen.»

Arouri hat drei Töchter und lebt im kleinen Beit Dschalla bei Bethlehem. In Jerusalem arbeitet er bei einer Computerfirma. Am Tag verdient er 240 Schekel, umgerechnet 65 Franken. «Das reicht meist gerade, um meine Familie zu ernähren. Aber es ist immer noch viermal mehr, als ich in Palästina bekommen würde. So ist es bei den meisten hier.»

«Wie ein zweiter Job»

Um sechs Uhr wird mit einstündiger Verspätung der Eingang des Checkpoints geöffnet. Arouri ist einer der etwa 300 Arbeiter, die sich als erstes durch die Drehkreuze zwängen. Zunächst überprüft ein automatischer Metall-Detektor, was die Passanten mit sich führen. Über den Innenhof geht es anschliessend zum nächsten Kontrollpunkt.

Dort wartet erneut ein Metalldetektor, wieder heisst es Schlangestehen. «Tag für Tag durch den Checkpoint zu gehen, ist so anstrengend, wie einen zweiten Job zu haben», sagt Arouri. «Seitdem er da ist, schlafe ich nur noch halb so viel wie früher. Oft bin ich schon kaputt, wenn ich bei der Arbeit ankomme, aber verdient habe ich bis dahin nicht einen Schekel.»

Keine Sitzgelegenheit

Als Arouri den zweiten Kontrollpunkt passiert, ist es bereits 07.00 Uhr. In Kleingruppen folgt die nächste Warteschleuse, ein mit massiven Metallstäben umzogener Käfig, drei Meter breit und sechs Meter lang. Trotz Ventilatoren läuft den Männern der Schweiss von der Stirn, eine Bank zum Sitzen gibt es nicht.

Zur Gebetszeit knien einige auf dem staubigem Asphalt. Dabei werden sie von Kameras gefilmt. «Die Art, wie man uns hier behandelt, provoziert viele Palästinenser», sagt Arouri. «Aber man darf sich nicht darauf einlassen. Wenn du die Nerven verlierst und anfängst, gegen das Gitter zu schlagen, schicken dich die Soldaten gleich wieder nach ganz hinten zurück.»

Vier Stunden für das Passieren

Ganz vorn muss Arouri schliesslich seine Gastarbeitererlaubnis vorlegen, seine Identität wird mittels Fingerabdruck überprüft. Um 08.00 Uhr morgens, vier Stunden nachdem er am Checkpoint Bethlehem angekommen ist, hat er die andere Seite der Mauer erreicht. Viel Zeit bleibt ihm dort nicht: «Bis um 18 Uhr muss ich zurück sein, dann macht der Checkpoint dicht.»


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